Triumph der Plastikfolie

Saarbrücken · Maschinen und Männer, das waren die Haupt-Darsteller in zwei der letzten Premieren des Festivals Perspectives. Die verabschiedeten sich mit begeistert beklatschten Produktionen. Die 38. Festival-Ausgabe ist bereits terminiert: 21. bis 30. Mai.

 Wert passt sich wem an? Mensch und Roboter begegnen sich im Tanzstück „Sans Objet“. Foto: Aglaé Bory

Wert passt sich wem an? Mensch und Roboter begegnen sich im Tanzstück „Sans Objet“. Foto: Aglaé Bory

Foto: Aglaé Bory

Was wünscht man sich von einem Bühnen-Festival, das uns jenseits ausgetretener Theaterpfade führen will? Dass man sich ab und zu die Augen reibt. Am Wochenende, bei den letzten drei Perspectives-Premieren in Saarbrücken, ist dies gleich zwei Mal passiert; bei "Signal du Promeneur" und bei "Sans Objet". Während die dritte Premiere, der Freiluft-Asphalt-Tanz der Compagnie Osmosis auf dem Gelände des Ausbesserungswerkes in Burbach mitten ins industriekulturell bewegte Herz der Region traf. Kurzum: Es war ein starkes Finale, mit dem sich die 37. Ausgabe des deutsch-französischen Bühnenfestivals gestern verabschiedete. Es brachte einen Rekord: 31 000 Zuschauer (2013: 13 500). Wobei sich das relativiert, weil das kostenlose Feuerspektakel im Deutsch-Französischen Garten auf einen Schlag 15 000 Besucher mehr in die Statistik brachte. In den Sälen, Hallen und bei den Club-Partys und Konzerten wurden 13 000 Menschen gezählt. Das liegt im Schnitt der vergangenen drei Jahre.

Schauen wir zurück, wie sich das Festival künstlerisch verabschiedete. Ohne Frauen. Männer beherrschten durchweg das Feld. Selten durchgeknallt war die Nummer, die sich die fünf Jungs von "Raoul Collectif" leisteten. Die Wander-Truppe in Gummistiefeln richtete sich auf der unaufgeräumten Spielfläche der Feuerwache eine Art Kinder-Spielplatz ein. Merkwürdige Waldschrate, denen von oben Erdklumpen vor die Füße knallten. Verirrte im Wald des Lebens, die uns an ihrem selbstbezüglichen Unfug teilhaben ließen. Die Darsteller salbadern und singen, setzen sich Hirschgeweihe auf und verkleiden sich als Ritter. Zitiert wird zwischen Albert Camus und Zeitungsartikeln so ziemlich alles, was keinen Zusammenhang hat, aber anspielungsreich klingt. Arbeitseifrige Bienen kommen vor und ein arbeitsscheuer Student, verlogene Rehe und ein dreister Hochstapler. Existenzialistisches Post-Punk-Theater kann man das nennen, treffender wäre wohl höherer Jux. Warum man sich amüsiert, man weiß es nicht. Klar ist nur, dass da ein neuer absurder Stil aufgetaucht ist. Krass war's jedenfalls, und der Beifall sagte: Das war gut so.

Roboter als Tänzer

Aus ganz anderen Gründen wurde am Samstag "Sans Objet" in der Osthalle enthusiastisch gefeiert. Aurélien Bory führt vor, welches berückende Farbschillern eine schwarze Industrie-Plastikfolie entfachen kann und gibt ihr einen großen Auftritt - neben einem tonnenschweren Roboter. Der ist der veritable Mit-Tänzer von Olivier Alenda und Olivier Boyer, ein Wesen, mal Drache, mal Alien ist, mal freundlich, mal monströs. Die Maschine schnappt sich die zwei Tänzer am Kopf und lässt sie wie Astronauten schwerelos marschieren, es ist dies nicht die einzige "kosmische" Anspielung, die "Sans Objet" bereit hält. Es geht unheimlich und komisch zugleich zu in diesem fremden Universum, in dem Menschen an Platten fest kleben oder durch Spiegelkabinett-Effekte ihre Beine verlieren. Bory dekliniert auf staunenswerte Weise das Thema Anpassung und Verformung durch. Das Tempo ist gemächlich, der dröhnende Soundteppich nicht wirklich originell - wir müssen durch einige Längen. Gleichwohl überwiegt die Magie.

Wie ein ruppiges, staubiges Gegen-Modell nimmt sich "Cathédral d'Acier" von Ali Salmi dagegen aus. Ebenfalls eine Choreografie mit Maschine, aufgeführt vor der nur provisorisch ausgeleuchteten Fabrikkulisse des Ausbesserungswerkes. Hammerschläge, Schweißfunken, Stahl-Stelen, die ein Kran aufrichtet. Zwei ehemalige Stahlarbeiter führen authentische Arbeiten durch, zugleich übersetzen Benoit Armange und Ali Salmi die Härte des Arbeitsalltags in eine überzeugende, kraftvoll-männliche Bewegungssprache. Sie schleppen ihre Beleuchtung selbst, rackern sich ab, mal zu Rock-Balladen, mal in der Stille. Vieles wirkt unfertig, und doch wird man unmittelbar berührt von dieser brüderlichen Geste der Künstler gegenüber den Arbeitern. Chapeau vor diesem Ballett der Plackerei.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort