Trickserei bei Arbeitsmarktzahlen

Berlin · Um die Arbeitsmarktzahlen international zu harmonisieren, sind neue Gruppen zur Beschäftigungsstatistik dazugekommen. Kritiker bemängeln, dass dadurch die wirkliche Situation verfälscht und geschönt wird.

Die Beschäftigung in Deutschland hat einen neuen Rekordstand erreicht - behauptet die Bundesagentur für Arbeit (BA). Nach ihren aktuellen Zahlen wurde Ende Juni erstmals die 30-Millionen-Marke geknackt. Rund 30,17 Millionen Menschen hatten demnach einen sozialversicherungspflichtigen Job. Allerdings geht der Spitzenwert ausschließlich auf eine statistische Veränderung zurück. Nach der alten Zählung wäre die Beschäftigung sogar gesunken. Das weckt Kritik bei Gewerkschaften und Opposition.

Für die Öffentlichkeit praktisch geräuschlos haben Bundesagentur und die Statistischen Ämter von Bund und Ländern gemeinsam mit dem Bundesarbeitsministerium die Beschäftigungsstatistik um vier Personengruppen erweitert. Konkret geht es um Menschen in Behindertenwerkstätten und vergleichbaren Einrichtungen, Personen in Jugendhilfeeinrichtungen sowie Nebenerwerbslandwirte und Menschen, die ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr beziehungsweise einen Bundesfreiwilligendienst ableisten. Dabei handelt es sich nach Angaben des DGB-Arbeitmarktexperten Wilhelm Adamy jedoch um Personen, die "keine Arbeitnehmer sind und nach dem Sozialversicherungsrecht als nicht erwerbsfähig gelten". Besonders Behinderte hätten kaum Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt, kritisierte Adamy. Deshalb seien sie auch in anerkannten Werkstätten tätig, in denen sie nicht in erster Linie an eine bestimmte Arbeitsleistung gebunden seien. Der Verdienst liege im Schnitt bei unter 200 Euro pro Woche. Auch beim Bundesfreiwilligendienst gebe es nur ein Taschengeld, erklärte Adamy.

Unter dem Strich wurden mit den vier Gruppen von der BA rund 400 000 Personen zusätzlich erfasst. Rein statistisch gelten auch sie nun als sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Ohne diese Erweiterung würde die Gesamtzahl aktuell nicht bei 30,17 Millionen Beschäftigten liegen, sondern nur bei etwa 29,8 Millionen, was sogar einen leichten Rückgang gegenüber dem Vormonat bedeutet hätte. Ein Sprecher der Bundesarbeitsagentur begründete auf Anfrage die Umstellung mit der Beseitigung von Mängeln bei der Datenerfassung und einer stärkeren Orientierung an der Statistik der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Mit ihr sollen die Arbeitsmärkte vergleichbarer werden.

Für die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, Brigitte Pothmer , ist das allerdings ein schwacher Trost. "Die neue Statistik mag in der Logik einer besseren internationalen Vergleichbarkeit liegen, aber sie bildet die Wirklichkeit nicht ab", sagte Pothmer unserer Zeitung. Vielmehr entstehe "ein falsches Bild über die Situation der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland". Im allgemeinen Sprachgebrauch würden darunter Jobs auf dem ersten Arbeitmarkt verstanden, von denen man auch leben könne, erläuterte Pothmer. Doch das sei nicht der Fall. "Das Mindeste wäre, dass man die bisher nicht erfassten Gruppen extra ausweist", forderte die Grünen-Politikerin. Auch die Mini-Jobber würden schließlich in einer gesonderten Statistik aufgeführt.

Ähnlich wie die jetzt geänderte Erfassung der Beschäftigungslage wird schon seit längerer Zeit auch bei den offiziellen Arbeitslosenzahlen ein Verfahren praktiziert, das die wahre Situation nach Einschätzung von Kritikern beschönigt. Nicht mehr mitgezählt werden demnach Arbeitslose über 58 Jahre, wenn sie länger als ein Jahr Hartz IV beziehen und vom Jobcenter in dieser Zeit kein Arbeitsangebot mehr bekommen haben. Im Juli waren das immerhin rund 163 000 Personen. Sie sind in der weniger bekannten "Unterbeschäftigungs-Statistik" der Arbeitsagentur erfasst.

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