Traditionsbruch: Chorgemeinschaft verlässt nach fast 70 Jahren die Ludwigskirche

Saarbrücken · Mit dem neuen Kantor an der Saarbrücker Ludwigskirche wurde die Evangelische Chorgemeinschaft nicht warm. Nach beinahe 70 Jahren ziehen die Choristen jetzt in die Stiftskirche St. Arnual.

 Ein Bild, das bald Vergangenheit sein dürfte: die Evangelische Chorgemeinschaft in der Ludwigskirche. Fast 70 Jahre war sie hier Zuhause. Foto: Iris Maurer

Ein Bild, das bald Vergangenheit sein dürfte: die Evangelische Chorgemeinschaft in der Ludwigskirche. Fast 70 Jahre war sie hier Zuhause. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

Die Evangelische Chorgemeinschaft an der Saar und die Saarbrücker Ludwigskirche: Fast 70 Jahre lang schien das unverbrüchlich. Von Kirchenmusikdirektor Karl Rahner 1946 initiiert, war die Chorgemeinschaft stets eine feste Burg protestantischen Wohllauts. Und mehr noch: Die rund 80 Sänger, darunter etliche mit profunder musikalischer Ausbildung, stellten sich oft genug wie ein Staatschor auf. Wenn die Staatskanzlei nebenan was zu Feiern hatte, wie 2009 zum Tag der Deutschen Einheit, sang die Chorgemeinschaft ganz selbstverständlich im Festgottesdienst der Ludwigskirche - und Kanzlerin und Bundespräsident lauschten. Da ist es nun mehr als eine Zäsur, wenn die Chorgemeinschaft am 1. Januar ihren vorerst wohl letzten Auftritt in der evangelischen Hauptkirche hat. Und dann ihre angestammte Bühne räumen muss. Oder aus freien Stücken geht?
Alte Privilegien sind weg

Ulrich Seibert jedenfalls, seit September Kantor an der Ludwigskirche und als solcher dort für das Programm verantwortlich, sagt klar: "Die Chorgemeinschaft ist keineswegs unerwünscht, aber ihre alten Privilegien sind weg." Zudem hat der 50-Jährige einen Figuralchor gegründet. Der soll nun der Vorzeigechor an der Ludwigskirche werden. Was einem Affront für die Chorgemeinschaft gleich kommt, auch wenn einige Sänger in beiden Chören wirken.

Dabei hatte Seibert durchaus Interesse, das renommierte Ensemble zu übernehmen. Und auf Seiten des Kirchenkreises Saar West, der zusammen mit der Gemeinde Alt-Saarbrücken sein Arbeitgeber ist, sah man das auch so. "Wir haben erwartet, dass der neue Kantor den Premiumchor leitet", bekundet Superintendent Christian Weyer . Schließlich stünde musikalische Breitenarbeit ebenso in Seiberts Pflichtenheft wie musikalische Klasse.

Das Problem dabei: Tatsächlich war und ist die Chorgemeinschaft mit einem Dirigenten bestens versorgt. Mit Georg Grün nämlich, Professor für Chorleitung an der Saarbrücker Musikhochschule. Fast so lang wie mit der Ludwigskirche ist der Chor mit der Saarbrücker Musikhochschule verbunden, sagt Maria Elisabeth Berner, Vorsitzende der Chorgemeinschaft. Etliche Professoren , Dieter Loskant, Thomas Krämer, Andreas Göpfert und nun Grün führten den Chor. "Unsere guten jungen Stimmen kommen oft von der Hochschule", so Berner. Und betont: Der Chor bestimme als Verein selbst über seinen Chef. Dennoch versuchte man drei Proben mit Seibert. Aber es funkte nicht. "Es waren Qualitätsgründe", sagt Berner, "und eine klare Entscheidung für Georg Grün. Wenn man einen Chorleiter haben kann, der zu den besten in Deutschland zählt, muss man nicht lange nachdenken."

Nach diesem Votum positionierten sich freilich auch Weyer und Seibert. Die Fördermittel, 3000 Euro pro Jahr, für die Chorgemeinschaft sind gestrichen. Damit verschließe man den Choristen aber nicht die Tür, meint Superintendent Weyer . Faktisch aber, klagt Berner, müsse die Chorgemeinschaft nun wie alle anderen Chöre teure Miete berappen und sich um Termine in der Ludwigskirche bewerben. "In einer Reihe mit Shanty-Chören", empört sie sich. Nach all den Jahren hoffte sie wenigstens auf eine "privilegierte Partnerschaft". Doch die besten Termine dürfte Seibert nun für seinen Chor vormerken.

Dass der Ton mittlerweile recht rau ist zwischen den Parteien, liegt auch daran, dass die Chorgemeinschaft schon bei der Wahl Seiberts gern mitgestimmt hätte. "Das wurde uns verwehrt", sagt Berner. Der Chor hätte da wohl für seinen Kandidaten, Christian von Blohn, der den Chor mit Grün eine Zeit lang zusammen leitete, votiert. Doch Seibert machte das Rennen.
Vertane Chance

Manche sehen in dieser Wahl eine vertane Chance. Nach über 40 Jahren wurde an der Ludwigskirche wieder eine Vollzeitstelle für einen A-Musiker (höchste Qualifizierung in der Kirchenmusik) geschaffen, eine Rarität in diesen knauserigen Zeiten. "Ich hätte mir bei der Besetzung dieser großen Kirchenmusikerstelle eine andere Qualität gewünscht", sagt etwa Stephan Schultz, Vorsitzender der Vereinigung für Musik in der Ludwigskirche, kurz Vemulu. Mit gut 90 Mitgliedern ist diese mehr als ein Förderverein für die Chorgemeinschaft, sie war auch Programm-Macher in der Barockkirche. Wobei Schultz auch vorgehalten wurde, dass er sein Barockorchester, "Le Concert Lorrain", bemerkenswert häufig in der Kirche auftreten ließ. "Ich arbeite für die Vemulu strikt ehrenamtlich", entgegnet er.

Die Vemulu selbst dürfte auch bald Geschichte sein. Denn das Programm in der Ludwigskirche macht jetzt ja Seibert. So haben Schultz und andere, darunter auch Georg Grün und Orgel-Professor Jörg Abbing, bereits das Musikpodium Saar gegründet. Quasi der neue Förderverein für die Chorgemeinschaft. Diese hat mittlerweile in der Stiftskirche St. Arnual einen neuen Auftrittsort gefunden. "Wir sind mit offenen Armen aufgenommen wurden", sagt Chorvorsitzende Berner. Doch so stimmungsvoll die Stiftskirche ist, die schiere Größe der Ludwigskirche kann sie nicht bieten. Darum hofft Berner auch, dass die Türen zur Ludwigskirche nicht ganz zugeschlagen sind.

Zum Thema:

Auf einen BlickWeihnachtskonzert: am 14. Dezember, 18 Uhr, Ludwigskirche: Festliche Barockkantaten und virtuose Orchestermusik mit "Le Concert Lorrain". Neujahrskonzert: mit der Evangelischen Chorgemeinschaft, 1. Januar 2015, 18 Uhr, Ludwigskirche. Mit Werken von Bach und Telemann. redticket-regional.de/ludwigskirche

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