Theaterkunst auf Saarländisch

Saarbrücken · An Ostern startete in der St. Arnualer Kettenfabrik ein „saarländisches Volkstheater“. Es wurde zum Geheimtipp, im Juli gab es vier Zusatzvorstellungen. Nun soll sich das Ganze zur Institution entwickeln. Nächstes Jahr wird auf jeden Fall wieder gespielt – in Dialekt.

 Fachwerkhaus-Flair: Blick in den Innenhof des Kettenfabrik-Areals. Rechts führt der Eingang in den Theaterraum, der bereits zuvor unregelmäßig für Kulturveranstaltungen geöffnet wurde. Foto: Dietze

Fachwerkhaus-Flair: Blick in den Innenhof des Kettenfabrik-Areals. Rechts führt der Eingang in den Theaterraum, der bereits zuvor unregelmäßig für Kulturveranstaltungen geöffnet wurde. Foto: Dietze

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Und es hat "Zoom" gemacht. Auf diesen Nenner lässt sich die Sache mit "Frau Suitner" bringen. Ereignet hat sich eine unerwartete Liebesgeschichte zwischen Ort, Theater und Publikum. Sie begann an Ostern 2014 mit sechs Aufführungen und könnte nun "ewig" dauern. Denn "Frau Suitner" soll nicht die erste und letzte Produktion bleiben, die eine freie Amateurtruppe um Ex-Staatstheater-Schauspieler Martin Leutgeb herausbringt. Der wollte den Saarländern beweisen, dass ihr Dialekt das Zeug zur Theaterkunstsprache hat. Dafür ließ er, selbst Tiroler, das Volkstheaterstück "Frau Suitner" (1917) seines Landsmannes Karl Schönherr ins Saarländische übersetzen. Ein überraschend starkes Drama und zutiefst menschliches Stück über ein im Wohlstand verhungerndes Ehepaar.

Saar-Idealist Leutgeb

 Die Hauptdarsteller Enrico Tinebra, Nadine Fleckinger, Sandra Klein (v.l.) vor der Dorfkulisse in St. Arnual. Foto: Sutor

Die Hauptdarsteller Enrico Tinebra, Nadine Fleckinger, Sandra Klein (v.l.) vor der Dorfkulisse in St. Arnual. Foto: Sutor

Foto: Sutor

Kurios: Ein Österreicher als Identitätsstifter an der Saar? Leutgeb ist längst wieder nach Wien gezogen, arbeitet für Film und Fernsehen, doch zuvor hat er sich als Gründer, Autor und langjähriger Motor des Neunkircher Musicalprojektes zu einem Menschenfänger entwickelt. Aus der Neunkircher Truppe folgten ihm 14 bühnensichere Darsteller nach St. Arnual, ohne Aussicht auf Gage. Das Experiment wurde zum künstlerischen Glücksfall.

"Wir würden gerne weitermachen", sagt Leutgeb, und kündigt Gespräche an mit denen, die das "Suitner"-Projekt überhaupt ermöglichten: mit dem Hauptsponsor Staatstheater, das Kostüme, Licht und Kulissen stellte, allen voran aber mit den "Kettenfabriklern". Das sind sieben Haus- und Wohnungseigentümer, in deren Räumen Leutgebs Leute probten und spielten und die ihren idyllischen Innenhof dem Pausenpublikum öffneten.

Der nostalgisch anmutende Spielort befindet sich in einem "Dorf" vor den Toren Saarbrückens, in "Daarle". Markt und Stiftskirche liegen um die Ecke, ein Fachwerkhaus-Postkarten-Idyll. Wohingegen der Theaterraum selbst, eine nicht übergroße Fabrikhalle der alten Kettenfabrik, schmucklos und hart wirkt und keine theatertechnische Ausstattung oder erhöhte Spielfläche bietet. Nur 70 Leute pro Vorstellung holte Leutgeb rein, Spiel- und Zuschauerraum verschmolzen zum "Krämerladen" des Ehepaares Suitner. "Direktheit" war Leutgebs Ziel - und der Funke sprang über. Seine "Suitner" wurde zum Flüstertipp, war selbst bei den Zusatzvorstellungen im Juli sofort ausverkauft. Auch die Kritik rief: "Großes Bravo!"

Und nun? "Es war belebend und angenehm", sagt Barbara Wackernagel-Jacobs im Rückblick auf die erste Saison. Die Filmproduzentin und ehemalige saarländische Sozialministerin ist eine Hauseigentümerin in der Kettenfabrik und förderte das Projekt. Sie berichtet, weder ihre Mitbewohner noch die Anwohner hätten sich gestört gefühlt: "Es gab kein Ärger." Außerdem sei man Kulturnutzung gewöhnt. Die Räume wurden in der Vergangenheit immer mal wieder geöffnet, für Konzerte oder Lesungen: "Darüber besteht bei uns Konsens", so Wackernagel-Jacobs. Aber über ein zweites Volkstheater-Event sei noch nicht entschieden worden: "Wir kennen den Wunsch, aber es gibt noch keine Zusage."

Eine ständige Öffnung komme nicht in Frage, sagt Wackernagel-Jacobs, aber für eine "Regelmäßigkeit" im jetzt erprobten zeitlichen Rahmen sieht sie gute Chancen. Was bedeuten würde: Das saarländische Volkstheater fände in St. Arnual eine verlässliche Heimstatt und würde zur Institution. Leutgeb könnte sich seinen Wunsch erfüllen, eine "Tradition" gründen: Immer an Karsamstag findet im St. Arnualer Volkstheater die Premiere der jeweils neuen Produktion statt, auf Saarländisch. Für alle, die mit Willy-Millowitsch-Klamauk nichts am Hut haben und sich satt gesehen haben an Dialekt-Witzmaschinen wie Heinz Becker (Gerd Dudenhöfer) oder Vanessa Backes (Alice Hoffmann ). "Frau Suitner" hat jetzt neue Maßstäbe gesetzt: für ein volkstümliches, zugleich anspruchsvolles und berührendes Theater.

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