Tauwetter beim Mindestlohn?

Berlin. An Versuchen der Union, die Liberalen für flächendeckende Lohnuntergrenzen zu gewinnen, hat es in den vergangenen Wochen nicht gemangelt. Zuletzt hatten Kanzlerin Angela Merkel und der Parlamentarische Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer (beide CDU) für eine gemeinsame Linie bei diesem sensiblen Thema geworben

Berlin. An Versuchen der Union, die Liberalen für flächendeckende Lohnuntergrenzen zu gewinnen, hat es in den vergangenen Wochen nicht gemangelt. Zuletzt hatten Kanzlerin Angela Merkel und der Parlamentarische Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer (beide CDU) für eine gemeinsame Linie bei diesem sensiblen Thema geworben. Angesichts des heraufziehenden Wahlkampfs will die Union nicht als Partei der sozialen Kälte dastehen. Und den Liberalen dämmert offenbar, dass dieses Etikett auch für sie von Nachteil sein könnte."Die FDP ist die Partei der Leistungsgerechtigkeit. Aber drei Euro Stundenlohn hat mit Leistungsgerechtigkeit nichts mehr zu tun", erklärte gestern ihr einstiger Vorsitzender Guido Westerwelle. Auch FDP-Fraktionsvize Martin Lindner zeigte sich offen für die Einführung von Lohnuntergrenzen. Und zwar nach Regionen und Branchen differenziert. Gleichzeitig bekräftigte Lindner das "Nein" seiner Partei zu einem einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn. Doch den wollen nur SPD, Grüne und Linke. Die Union als vermeintlicher Adressat von Lindners Worten hat dergleichen nicht in Sinn. Vielmehr geht es der CDU um "allgemeine verbindliche Lohnuntergrenzen" für Branchen, in denen es bislang keine entsprechenden Tarifverträge gibt. Das hatte Grosse-Brömer zu Wochenbeginn noch einmal klargestellt. Seine Äußerungen decken sich mit einem Parteitagsbeschluss der CDU.

"Ermutigende Signale"

Demnach sollen Mindestlöhne nicht gesetzlich vorgegeben, sondern mittels einer Kommission aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern festgelegt werden. Nimmt man die jüngsten Äußerungen aus der FDP für bare Münze, dann könnte eine Einigung in der Koalition machbar sein. Der CDU-Sozialpolitiker Peter Weiß sprach gestern gegenüber unserer Zeitung von ermutigenden Signalen. "Da ist etwas in Bewegung gekommen."

Nach Angaben des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung werden nur 59 Prozent der Beschäftigten in Deutschland über Branchen- oder Haustarifverträge entlohnt. 41 Prozent, das sind 14,4 Millionen Beschäftigte, unterliegen keiner Tarifbindung. Zur Bekämpfung der schlimmsten Auswüchse von Lohndumping hatte die Union auf Festschreibung branchenspezifischer Mindestlöhne gedrängt. Voraussetzung war eine Einigung der Tarifpartner. Mittlerweile fallen darunter zwölf Wirtschaftszweige mit vier Millionen Beschäftigten. Die von der Bundesregierung für allgemeinverbindlich erklärten Mindestlöhne reichen von sieben Euro in ostdeutschen Wäscherei-Betrieben bis zu 13,70 Euro im westdeutschen Bauhauptgewerbe. Das politische Verfahren dafür ist jedoch aufwändig, zumal die FDP gebremst hatte. Nach Lesart der Union sind Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in manchen Branchen zu schwach, um allgemeine Lohnuntergrenzen auszuhandeln. Hier soll die Kommissions-Lösung greifen. Experten geben zu bedenken, dass es praktisch keine Branche ohne Tarifverträge gibt, aber sich nicht selten nur sehr wenige Betriebe daran gebunden fühlen. Der SPD gehen die Vorstellungen der CDU nicht weit genug. "Da wird mit Wortnebelmaschinen gearbeitet. Lohnuntergrenzen sind kein Mindestlohn. Geplant ist ein Placebo-Gesetz", sagte gestern ihr Arbeitsmarktexperte Hubertus Heil. Offenbar seien Union und FDP an einer Demobilisierung im Bundestagswahlkampf gelegen. Die SPD-regierten Länder wollen am 1. März im Bundesrat einen Antrag zur Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde einbringen.

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