Tattoo Tattoo: Die Zeitbombe unter der Haut

Berlin · Aus Tätowierfarben können im UV-Licht neue Verbindungen entstehen. Wie gefährlich die sind, wird nun untersucht.

Der Supersommer  2018 und die sonnigen Tage des Herbstes  machen Fußgängerzonen, Parks und Strände zu einer Galerie der besonderen Art: Immer mehr Menschen zeigen sich mit Tätowierungen. Doch UV-Licht erhöht die Risiken, die von den Farbpartikeln ausgehen können. Was genau mit Tätowiermitteln in der Haut passiert, ist größtenteils unbekannt. Sicher ist, dass daraus schädliche Verbindungen entstehen können. Seit den 1990er Jahren liegen Tätowierungen im Trend. Etwa jeder zehnte Deutsche ist mittlerweile tätowiert, manche Schätzungen gehen sogar von jedem fünften Bundesbürger aus, abhängig vom Alter. Der Trend macht vielen Medizinern Sorgen. Eine neue Forschungsgruppe am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) untersucht daher seit einem Jahr, welcher Stoff welche Wirkung im Körper entfalten kann.

„Für Kosmetika, die nur äußerlich aufgetragen werden, gibt es genaue Vorgaben. Etwa welche Farb- oder Konservierungsstoffe enthalten sein dürfen und welche nicht. Das regelt die Kosmetikverordnung“, sagt Ines Schreiver vom BfR. „Für Tätowiermittel gibt es, zumindest in Deutschland, zwar auch eine Verordnung, allerdings enthält diese nur eine Negativ­liste. Das bedeutet, es sind die Verbindungen aufgeführt, von denen eine schädliche Wirkung bekannt ist und die daher verboten sind.“ Für viele Stoffe fehlten aber toxikologische Daten für eine Injektion in die Haut. Daher sei derzeit kaum ein Inhaltsstoff von Tätowiermitteln als unbedenklich einzustufen. „Und das, obwohl sie in die Haut eingebracht werden.“

Die Zusammensetzung der Farben variiert je nach Hersteller und Herkunftsland. Was genau enthalten sein darf, ist nicht festgelegt. Von vielen Substanzen sind die möglichen Wirkungen unbekannt, sie sind daher nicht verboten. Zudem sind die Mittel über das Internet frei erhältlich, ebenso wie Tätowiermaschinen. Eine geschützte Ausbildung zum Tätowierer gibt es nicht. „Wenn sich jemand für ein Tattoo interessiert, sollte er sich möglichst umfassend über die möglichen Risiken informieren und bei der Studiowahl unbedingt auf die Hygiene und die eingesetzten Farben achten“, appelliert BfR-Forscherin Schreiver.

Etwa 120 Mal pro Sekunde sticht die Nadel eines Tätowiergeräts zu und drückt die Farbe ein bis drei Millimeter tief in die Haut. Wie jede offene Wunde kann sich ein frisches Tattoo durch Bakterien, Viren oder Pilze infizieren. Das kann an mangelnder Hygiene oder verunreinigten Farben liegen.  „Der Tätowiervorgang ist quasi eine oberflächliche Operation. Die schützende Barriere der Oberhaut wird dabei durchstochen“, warnt auch Yael Adler, Hautärztin und Lasermedizinerin aus Berlin. „Schlimmstenfalls können dabei Krankheiten wie Hepatitis oder HIV übertragen werden.“ Zudem drohten, abhängig vom Hauttyp und der Tiefe der Verletzungen, Narben- und Granulombildung. Dabei erkennt der Körper die in die Lederhaut eingebrachten Farbpartikel als Fremdkörper und kapselt sie ein, wodurch Knötchen entstehen.

Soweit kennen Mediziner die Risiken. Doch was nach dem oberflächlichen Abheilen im Körper mit den Farben passiert, ist weitgehend unbekannt. Die BfR-Wissenschaftler müssen für ihre Analysen teils neue Untersuchungsmethoden entwickeln. „Auskunft über Langzeitwirkungen der Tätowiermittel könnten nur Tierversuche geben, die in Deutschland aus ethischen Gründen nicht erlaubt sind, oder epidemiologische Studien. Solche langfristigen Beobachtungsstudien unter realen Umweltbedingungen existieren jedoch bisher nicht“, sagt Ines Schreiver.

Dass Teile der Tätowierfarben nicht im eingestochenen Bild verbleiben, steht fest. Die Zusatzstoffe der Farben werden offenbar größtenteils über den Stoffwechsel ausgeschieden. Die Pigmente selbst wandern jedoch auch durch den Körper. Zum einen passiv durch den Transport über Lymph- und Blutgefäße, zum anderen aktiv über Zellen des Immunsystems. Die fressen Fremd­stoffe und Krankheitserreger und versuchen, sie unschädlich zu machen. Die für sie unverdaulichen Reste lagern sie größtenteils in den Lymphknoten ein. Diese sind wichtiger Bestandteil des Immunsystems und bei tätowierten Personen oft durch Pigmente verfärbt.

Der Stoffwechsel verarbeitet also einen Teil der Tätowiermittel. In welche Substanzen die Farben zerlegt werden, wie zum Teil vermutlich toxisch wirkende Verbindungen sich im Körper verteilen und was sie dort machen, versucht die BfR-Forschungsgruppe herauszufinden. Ebenso, welche Folgen UV- und Laser-Strahlen haben. Sie führen zu einem Zerfall der Pigmente, wodurch wieder Verbindungen mit unbekannter Wirkung entstehen. Einige stehen im dringenden Verdacht, Krebs auszulösen. „Wir wissen, dass bunte Bilder oft größere Probleme verursachen als schwarze Motive. Das schwarze Pigment ist Kohlenstoff, der nicht weiter zerfallen kann. Rötliche Farben scheinen die meisten Allergien auszulösen, also Rot, Orange, Pink und Braun. Meist treten diese jedoch nicht direkt in der Folge des Tätowierens auf, sondern erst Jahre später“, erklärt Ines Schreiver. Viele Farben, auch Schwarz, enthielten zudem Verunreinigungen wie Nickel, Cadmium oder sogar Blei, könnten dadurch den Körper belasten und Allergien auch an entfernten Körperstellen auslösen.

Vor allem bei Rot- und Brauntönen sieht die Berliner Hautärztin Adler Gefahren. Denn diese werden oft für Permanent-Make-up eingesetzt. „Lippen- und Augenumrandungen sowie Brauen werden häufig nach einigen Jahren nachgestochen. Was beim ersten Mal noch gutging, kann bei Wiederholung heftige allergische Reaktionen auslösen“, berichtet Adler. Manchmal sind solche Allergien nicht mehr durch Medikamente in den Griff zu bekommen. Dann muss das Tattoo entfernt werden. „Solche Eingriffe sind besonders im Gesicht natürlich sehr unschön. Bei großflächigen Bildern wie auf dem Rücken oder über das ganze Bein können sogar mehrere Operationen nötig sein.

Abgesehen davon können Gewebeveränderungen wie Hautkrebs durch die Farben überdeckt werden“, sagt Adler. Ein weiteres Problem stelle sich für Menschen, bei denen Tattoofarben mit Eisenanteil oder Ähnlichem verwendet wurden. Sie sind oft in Schwarz enthalten. Sollte bei ihnen später im Leben eine Untersuchung im Magnet­resonanz-Tomographen nötig werden, könnten die Metallanteile unter Umständen zu schweren Verbrennungen führen. Wer sein Motiv nicht mehr mag und es per Laser entfernen lassen will, muss sich auf mehrere, schmerzhafte Sitzungen einstellen. Manche Farbbestandteile explodieren quasi durch die hohe Energie des Lasers, die Haut kann aufplatzen. Oft verblassen gelaserte Tattoos nicht gleichmäßig, manche verfärben sich nach den ersten Behandlungen grünlich. Und nicht alle Farben lassen sich komplett in unsichtbare Bestandteile zerlegen. Schatten können bleiben, Narben und Knötchen sowieso. Hautärztin Adler und BfR-Forscherin Schreiver raten deshalb, sich den Gang zum Tätowierer und mögliche Folgen gut zu überlegen.

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