Sünden der Eltern bei der Ernährung sind erblich

Es ist eine verblüffende Erkenntnis der Wissenschaft aus jüngster Zeit: Erkrankungen, die erst durch einen ungesunden Lebensstil entstanden sind, werden an die Nachkommen vererbt. So was hielten Wissenschaftler lange Zeit für unmöglich.

 Krankheiten wie zum Beispiel Diabetes und Fettsucht, die durch einen ungesunden Lebenswandel verursacht wurden, können vererbt werden. Das galt bisher als unmöglich, wird jetzt jedoch durch zahlreiche neue wissenschaftliche Studien bestätigt. Foto: Ralf Hirschberger/dpa

Krankheiten wie zum Beispiel Diabetes und Fettsucht, die durch einen ungesunden Lebenswandel verursacht wurden, können vererbt werden. Das galt bisher als unmöglich, wird jetzt jedoch durch zahlreiche neue wissenschaftliche Studien bestätigt. Foto: Ralf Hirschberger/dpa

Foto: Ralf Hirschberger/dpa

Doch immer mehr Forschungsergebnisse beweisen es. Wer ungesund isst und sich zu wenig bewegt, dadurch stark übergewichtig und zuckerkrank wird, vererbt diese Leiden an seine Kinder. Dabei ändert der ungesunde Lebensstil nichts am Erbgut. Was aber wird vererbt?

Übergewicht und Diabetes entwickeln sich, wenn Menschen über längere Zeit mit mehreren Stoffwechselproblemen zu kämpfen haben. Sie haben zu viel Fett und zu viel Zucker im Blut, leiden unter hohem Blutdruck und haben zu üppige Fettdepots, vor allem im Bauchraum. Diese Auffälligkeiten werden als metabolisches Syndrom bezeichnet. Zwar spielt dabei eine erbliche Veranlagung eine Rolle, doch ausgelöst wird es in der Regel durch eine ständig zu hohe Kalorienzufuhr und zu wenig körperliche Aktivität.

Mittlerweile sind im menschlichen Erbgut rund 70 genetische Varianten bekannt, die das Diabetes-Risiko beeinflussen. Doch sie haben eine zu geringe Wirkung, um das Tempo zu erklären, mit der sich die Zuckerkrankheit ausbreitet. Schätzungsweise leiden weltweit rund 382 Millionen Menschen an Diabetes . Auch ist zweifelhaft, ob das Ernährungsverhalten allein die steigende Zahl adipöser Menschen erklären kann. Fast ein Drittel der Weltbevölkerung ist inzwischen übergewichtig oder fettleibig.

Forscher des Deutschen Forschungszentrums für Gesundheit und Umwelt in München (Helmholtz-Zentrum) sind jetzt zu der Erkenntnis gelangt, dass Menschen, die sich ungesund ernähren, nicht nur ihr eigenes Risiko für Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Krebs erhöhen, sondern dieses Risiko auch an ihre Kinder weitergeben. Das würde bedeuten, dass sich die negativen Folgen einer ungesunden Ernährung von Generation zu Generation verstärken. Damit könnte erklärt werden, warum die Zahl stark übergewichtiger und diabetischer Menschen weltweit schnell und ständig steigt.

Erst vor wenigen Jahren haben Forscher zu ihrer großen Überraschung herausgefunden, dass die Gene im menschlichen Körper ein- und ausgeschaltet werden können. Die Gene kann man als Baupläne bezeichnen. Anhand dieser Pläne werden die Proteine (Eiweiße) hergestellt, aus denen die Zellen und Gewebe im menschlichen Körper bestehen. Die Prozesse, die die Aktivität der Gene beeinflussen, sind noch längst nicht alle erforscht. Bekannt sind beispielsweise kleine chemische Verbindungen, die sich an einzelne Gene oder Abschnitte des Erbguts heften, wodurch der Bauplan nicht mehr abgelesen werden kann. Diese Anhängsel wirken wie ein Blockadeschalter. Werden wichtige Gene abgeschaltet, kann die Erbinformation nicht mehr abgelesen werden und es kommt zum Beispiel zu Störungen beim Aufbau neuer Proteine. Das kann zu ernsthaften Erkrankungen führen. Der Forschungszweig, der nach den Ursachen sucht, die zum Ab- und Einschalten der Gene führen, heißt Epigenetik, was bedeutet: "zusätzlich zur Geninformation".

Mehrere Gruppen von Wissenschaftlern konnten bereits nachweisen, dass Ernährung, körperliche Aktivität, Rauchen, Kerosin, Chemikalien, Kunststoffe und sogar traumatische Erlebnisse dazu führen können, dass sich chemische Substanzen an die Gene anheften und diese dadurch stummschalten. Das Erbgut wird epigenetisch verändert. Professor Dr. Michael Skinner von der Washington State University schrieb in "Spektrum der Wissenschaft": "Wenn derartige Epimutationen in Eizellen und Spermien auftreten, können sie dort anscheinend fest eingebaut und so auf spätere Generationen übertragen werden - zusammen mit allen damit einhergehenden Gesundheitsrisiken."

Das ist eine völlig neue Entdeckung, denn die Lehrmeinung besagt, dass epigenetische Veränderungen bei der Zellteilung im eigenen Körper zwar weitergegeben werden, bei der Fortpflanzung jedoch gelöscht werden. Doch offenbar werden bei der Vererbung doch nicht alle Anhängsel entfernt.

Da unser Körper ständig neue Zellen bilden muss, um seine Lebensfähigkeit zu erhalten, erzeugt er pro Minute rund 300 Millionen neue Zellen. Insgesamt besteht der menschliche Körper aus etwa 100 Billionen Zellen. Neue Zellen entstehen, indem sich bereits bestehende Zellen fortwährend teilen. Das Erbgut der Mutterzelle wird dabei auf die beiden neuen Tochterzellen übertragen. Zellen geben bei der Teilung auch ihre epigenetischen Veränderungen an die Tochterzellen weiter. Werden zum Beispiel durch falsche Ernährung, Umweltgifte oder psychischen Stress Gene schon in jungen Jahren abgeschaltet, kann das zu Erkrankungen führen, die sich bis ins hohe Alter auswirken.

Dass epigenetische Veränderungen sogar an die Nachkommen vererbt werden, haben die Münchener Helmholtz-Forscher bei Versuchen mit Mäusen herausgefunden. Die wichtigsten Ergebnisse: Nachkommen von Eltern mit Übergewicht und Diabetes haben ein hohes Risiko, ebenfalls fettleibig und zuckerkrank zu werden. Leidet nur ein Elternteil an den Beschwerden, ist das Risiko der Jungen, ebenfalls zu erkranken, weniger stark ausgeprägt, aber doch noch deutlich erhöht. Ist nur die Mutter dick und diabetisch, ist die Gefahr für den Nachwuchs höher, als wenn nur der Vater von Übergewicht und Diabetes betroffen ist. Die falsche Ernährung der Eltern führt bei Söhnen eher zu Diabetes , bei Töchtern eher zu Übergewicht . Für den Leiter der Studie, Professor Dr. Johannes Beckers, ist klar: "Ein durch die Ernährung erworbener Diabetes kann über die Eizellen und Spermien vererbt werden."

In den vergangenen fünf Jahren haben verschiedene Forscherteams in Experimenten mit Mäusen und Ratten nachgewiesen, dass Stoffwechselstörungen oder die Veranlagung zu Stoffwechselstörungen auch auf epigenetischem Weg weitergegeben werden. Allerdings wurde dabei in der Regel mit fehlernährten Vätern, aber fitten, kerngesunden Müttern experimentiert. Der Vater spielte anders als die Mutter nur bei der Zeugung eine Rolle und verschwand danach von der Bildfläche. Da die Mutter in einer intakten Umwelt lebte und gesund war, konnten die Wissenschaftler sicher sein, dass die epigenetisch vererbten Krankheiten tatsächlich vom Vater stammten.

Die Münchener Forscher wollten allerdings auch wissen, ob durch Fehlernährung verursachte Erkrankungen der Mutter epigenetisch vererbt werden. Um auszuschließen, dass der Embryo bereits im Leib der fetten und diabetischen Mutter überernährt wurde, wurden die beiden zuckerkranken und übergewichtigen Elterntiere nicht verpaart, sondern die nächste Generation wurde mit den entnommenen Ei- und Samenzellen per künstlicher Befruchtung gezeugt. Die Embryos wurden von Leihmüttern ausgetragen, die lebenslang normal ernährt worden waren und weder an Übergewicht noch an Diabetes litten. So war gewährleistet, dass die epigenetischen Veränderungen ausschließlich über Eizellen und Spermien der leiblichen Eltern an die Nachkommen weitergegeben wurden.

Noch ist nicht geklärt, auf welche Weise die Informationen über Fettsucht und Diabetes in den Keimzellen (Eizellen und Spermien) abgespeichert werden, wie sie in die Organe (Bauchspeicheldrüse, Gehirn, Fettgewebe) der Jungtiere gelangen und wie sie dort die Erkrankungen auslösen.

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