Sport hält das Gehirn ein Leben lang jung und fit

Regelmäßige körperliche Bewegung ist offenbar die wirksamste Möglichkeit, das Gehirn bis ins hohe Alter fit zu halten. Neue Ergebnisse aus der Hirnforschung zeigen, dass allein körperliche Aktivität dazu führt, dass bis ins Alter neue Nervenzellen (Neuronen) im Gehirn gebildet werden. Diese ermöglichen ein lebenslanges Lernen und ein leistungsfähiges Gedächtnis.

 Diese Grafik stellt Nervenzellen, sogenannte Neuronen, im Gehirn dar. Die feineren antennenartigen Fortsätze heißen Dendriten. Über sie empfängt die Nervenzelle Informationen. Das dicke Kabel ist ein Axon, über das die Zelle Informationen versendet. Grafik: kts-design/Fotolia

Diese Grafik stellt Nervenzellen, sogenannte Neuronen, im Gehirn dar. Die feineren antennenartigen Fortsätze heißen Dendriten. Über sie empfängt die Nervenzelle Informationen. Das dicke Kabel ist ein Axon, über das die Zelle Informationen versendet. Grafik: kts-design/Fotolia

Bis vor wenigen Jahren waren sich die Wissenschaftler noch einig, dass im Erwachsenenalter im Gehirn keine neuen Nervenzellen mehr gebildet werden können. Als sich in Versuchen mit Ratten und Mäusen jedoch zeigte, dass in den Gehirnen erwachsener Tiere neue Nervenzellen auftauchen, schauten die Forscher auch bei Menschen genauer hin. In den Experimenten mit Tieren hatte sich herausgestellt, dass neue Hirnzellen nur in einer abwechslungsreichen Umgebung sprießen: große Käfige, viele Artgenossen, Spielzeug und Tunnelröhren, die immer wieder neu angeordnet wurden. Den Wissenschaftlern dämmerte schon, dass neue Nervenzellen nur gebildet werden, wenn das Gehirn vielfältige neue Erfahrungen sammeln kann.

Der Dresdener Hirnforscher Professor Dr. Gerd Kempermann entdeckte schließlich, dass in Gehirnen von Mäusen besonders viele neue Nervenzellen auftauchen, wenn die Tiere vorher körperlich aktiv waren. Mit der Zeit wurde auch klar, dass bei einem gemächlichen, reizlosen Lebenswandel keine neuen Hirnzellen entstehen.

Damit sich in Gehirnen neue Nervenzellen bilden können, müssen sogenannte Stammzellen als Ausgangsmaterial vorhanden sein. Aus Stammzellen , die noch völlig unspezialisiert sind, können sich alle möglichen Zellen bilden: Hautzellen, Leberzellen, Muskelzellen, Darmzellen, Knochenzellen und eben auch Gehirnzellen . Im Gehirn des Menschen wurden 1995 in der Region, die als "Tor zum Gedächtnis" bezeichnet wird, Stammzellen entdeckt. Die Rede ist vom Hippocampus. Er verarbeitet Informationen aus allen möglichen Quellen: aus allen Sinnen (Augen, Ohren, Nase, Tastsinn, Geschmack, Gleichgewichtsorgan), den Regionen im Gehirn , in denen die Sinneseindrücke verarbeitet werden, sowie aus den Erinnerungsspeichern selbst.

Um neue Gehirnzellen zu bilden, teilen sich die Stammzellen im Hippocampus. Eine der beiden neuen Tochterzellen bleibt jedoch Stammzelle, kann sich also immer wieder erneuern, die andere Tochterzelle entwickelt sich zu einer neuen Hirnzelle.

"Im Gehirn erwachsener Menschen bilden sich nach heutigem Wissen neue Nervenzellen praktisch nur im Hippocampus", erklärt Gerd Kempermann. Man spricht von adulter Neurogenese. Der recht kleine Hippocampus ist zweigeteilt: In jeder Hirnhälfte sitzt ein Teil. "Alles, was wir uns merken wollen und in Worte fassen können, muss im Hippocampus verarbeitet werden, damit es speicherbar wird", erläutert Gerd Kempermann.

Der Hippocampus hat eine einfache Grundstruktur, die aus einer Nervenbahn und drei Umschaltstationen besteht. Nur an der ersten Station, an der die eingehenden Informationen voneinander getrennt werden, sprießen neue Nervenzellen.

Die nächste Station im Hippocamps ist eine Art Zwischenspeicher für die Information. Von dort geht es zur dritten Station, wo vermutlich die eigentliche Erinnerung entsteht, die dann in die Hirnrinde überspielt wird, den Speicher unserer Erinnerungen.

Der kanadische Psychologe Professor Dr. Donald Hebb hatte schon 1949 angenommen, die Informationsverarbeitung im Gehirn basiere darauf, dass Verbindungen zwischen Nervenzellen verstärkt würden, wenn sie aktiv sind, und geschwächt oder gelöscht würden, wenn sie nicht genutzt werden. Auf diese Weise würden sich Informationen in die Nervennetzwerke des Gehirns einschreiben.

Inzwischen wurde vielfach bestätigt, das Lernen und Erinnern im Gehirn Spuren hinterlassen. Sie formen das Gehirn , weshalb man von Plastizität spricht. Jede Nervenzelle verfügt über antennenartige Fortsätze, über die Signale empfangen oder ausgesendet werden, sowie Schnittstellen (Synapsen) zu anderen Nervenzellen. Beim Denken verändern sich die Kontakte zwischen den Zellen: Sie werden verstärkt oder es bilden sich sogar neue.

Ein Sonderfall der Plastizität im Gehirn ist die adulte Neurogenese. Wozu aber wird der Aufwand betrieben, ganze Nervenzellen neu zu bilden? Die Forschung hat dieses Rätsel noch nicht im Detail gelöst. Doch es gibt einleuchtende Erklärungen. "Im Hippocamps werden die eingehenden Informationen voneinander getrennt, sodass sie sich nicht in den Weg kommen und durcheinandergeraten", sagt Gerd Kempermann. "Hier werden die Informationen mit einer Art Orts- und Zeitstempel versehen, und hier werden sie mit Emotionen verknüpft." Erlebnisse und Erkenntnisse, die mit positiven oder auch negativen Emotionen verbunden sind, merken Menschen sich viel besser. Was einen interessiert und emotional berührt, verinnerlicht man viel leichter.

Bei Versuchen mit Mäusen hatte man entdeckt, dass bei Tieren im Laufrad die Teilungsaktivität von Stammzellen im Gehirn massiv erhöht ist. Heute geht man davon aus, dass auch beim Menschen körperliche Bewegung die Hirn-Stammzellen dazu bringt, sich vermehrt zu teilen. Geistige Aktivität allein, und sei sie noch so anstrengend, reicht nicht aus, um neue Nervenzellen im Gehirn hervorzubringen. Angestrengtes Denken ist aber unbedingt erforderlich, damit die neu gebildeten Zellen überleben. Nur wenn sie genutzt werden, bauen sie sich dauerhaft ins bereits bestehende Nervennetz ein.

Das heißt, körperliche Aktivität kurbelt die Bildung neuer Gehirnzellen an, geistige Aktivität erhält sie am Leben. "Treibt man zuerst Sport und widmet sich dann anspruchsvollen geistigen Tätigkeiten, ist der Effekt am größten", sagt Gerd Kempermann. "Die Wirkungen von Bewegung und Denken addieren sich."

Das Gehirn steuert Bewegungen

Warum aber reagiert das Gehirn so positiv auf körperliche Bewegung? Es könnte damit zu tun haben, dass Gehirne in der Evolution entstanden sind, um vielzelligen Organismen eine Arbeitsteilung zu ermöglichen. Vor allem ging es darum, die Bewegung der Lebewesen zu steuern. Alle Signale, die die Hirnzellen aufnehmen und verarbeiten, werden in Bewegungen des Körpers umgesetzt. "Auch reines Denken kann unser Gehirn nur durch motorische Äußerungen in gesprochener oder geschriebener Form verlassen", erläutert Gerd Kempermann. Demzufolge dient die adulte Neurogenese der Verknüpfung zwischen Sinneswahrnehmungen und den darauf folgenden motorischen Aktivitäten.

Bei Experimenten mit Mäusen hat sich herausgestellt, dass nicht alle beim Laufen neu gebildeten Nervenzellen überleben. Nur zehn bis 25 Prozent wurden dauerhaft im Gehirn integriert. Daraus schließt Kempermann, "dass Luft nach oben besteht, bei Bedarf mehr neue Zellen zu rekrutieren."

Unser Gehirn braucht also Aktivität. Wer es nicht nutzt, verliert es. Neue Nervenzellen verbessern das Hippocampus-Netzwerk bereits, wenn sie noch nicht ganz ausgereift sind. Es reicht aus, wenn erste Kontakte zu den alten Zellen hergestellt werden, hat der argentinische Neurobiologe Dr. Alejandro Schinder nachgewiesen. "Möglicherweise hat der Hippocampus auch die Aufgabe, zwei unterschiedliche, aber ähnliche Reize, die zeitlich nahe beieinander liegen, voneinander zu unterscheiden", sagt Gerd Kempermann. Man spricht von Mustertrennung.

Neuere Forschungen haben bestätigt, dass die neuen Nervenzellen die Trennung von ähnlichen, aber doch unterschiedlichen Sinneseindrücken verbessern. "Ein Hippocampus-Netzwerk mit neuen Nervenzellen macht weniger Fehler, wenn es mit neuen Umständen konfrontiert wird, als eines ohne", erläutert Kempermann. "Das Netzwerk ist weniger fehleranfällig, wenn es flexibel reagieren soll." Neue Nervenzellen sind wichtig für die geistige Flexibilität, sie helfen beim Umdenken und beim Umlernen.

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 Auf dem Bild sind neue Nervenzellen, die dank einer speziellen Färbetechnik orange erscheinen, im Gehirn einer Maus zu sehen. Eine Zelle ist nur 20-tausendstel Millimeter groß. Auch bei Menschen, die körperlich aktiv sind, bilden sich im Gehirn neue Nervenzellen. Foto: Kempermann

Auf dem Bild sind neue Nervenzellen, die dank einer speziellen Färbetechnik orange erscheinen, im Gehirn einer Maus zu sehen. Eine Zelle ist nur 20-tausendstel Millimeter groß. Auch bei Menschen, die körperlich aktiv sind, bilden sich im Gehirn neue Nervenzellen. Foto: Kempermann

Foto: Kempermann

Hintergrund Der Hirnforscher Professor Dr. Paul Frankland hat gezeigt, dass wir altes Wissen nur dann vergessen können, wenn sich im Gehirn auch neue Nervenzellen bilden. Diese sind wichtig, um neues Wissen im Kopf verankern zu können. Ansonsten müssten womöglich zu viele alte Zellen überschrieben werden, um die neuen Inhalte zu speichern. Das alte Netzwerk kann stabil bleiben, weil neue Nervenzellen zusätzliche Speichermöglichkeiten schaffen. Bei körperlicher und geistiger Trägheit "verkrustet" das Denken allerdings.

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