Schlammschlacht statt Schreibtisch

Die Kälte würgt meinen Atem ab. Die Gelenke schmerzen, die Muskeln igeln sich ein. Noch einmal nach Luft schnappen, noch ein Tauchgang. Geschafft. Klatschnass und schlammverschmiert klettere ich aus einem Becken voller Eiswürfel. "Kalt", ist das einzige Wort, das ich in diesem Moment hervorbringen kann. "Los, weiterlaufen", schreit jemand im Hintergrund. Ich gehorche, laufe weiter. Ohne zu überlegen. Stehen zu bleiben ist ohnehin keine Option. "Arctic Enema" (Arktischer Einlauf) ist das vierte Hindernis. 19 weitere folgen bei diesem Tough-Mudder-Run ("Rennen durch zähen Schlamm") im bayerischen Wassertrüdingen . Immerhin quäle ich mich nicht allein. Meine Teamkollegen Andreas, Christina und Sascha sowie 1500 weitere Läufer müssen auch durch den Parcours. Freiwillig gehen sie die 18 Kilometer lange Strecke an. Freiwillig zahlen sie zwischen 60 und 140 Euro Startgeld. Freiwillig stellen sie sich 23 Herausforderungen. Sie überwinden mehrere Hügel mit 21 Prozent Steigung, freuen sich auf eine Flussdurchquerung, 301 Kubikmeter Schlamm und natürlich auf das Ziel. Wer es erreicht, bekommt die Tough-Mudder-Krone: ein orangefarbenes Frottee-Stirnband. Außerdem gibt es noch ein Finisher-T-Shirt. Und ein Bier oder Wasser im Plastikbecher. "Pass auf, dass du dich nicht hektisch bewegst, sonst schwappt dir Wasser ins Gesicht", ruft Christina. Sie hat sich beim "Cage Crawl" (durch den Käfig kriechen) gerade rückwärts an einem Absperrgitter durch kaltes Wasser gezogen, hatte dabei nur zehn Zentimeter Platz zum Atmen. Jetzt sind wir an der Reihe, legen uns unters Gitter und ziehen uns Stück für Stück den Kanal entlang. Die Ohren sind unter Wasser. Nur Nase und Mund spitzen noch heraus. Nach zehn Metern tauchen wir auf. So schlimm war's gar nicht. Doch David Gordon, Mitorganisator von Tough Mudder, weiß: "Cage Crawl ist für viele Teilnehmer eine ganz besondere Herausforderung." Das Hindernis koste vor allem Läufer mit Platzangst Überwindung. Aber genau das sei ja - neben einem Becher Bier - auch das Ziel: seine Ängste zu überwinden. "Die meisten Läufer möchten sich selbst und ihrer Umwelt beweisen, dass sie in der Lage sind, den Parcours zu bewältigen", sagt Gordon. Und: "Die Teilnehmer wollen was erleben. Weg vom langweiligen Alltag. Tough Mudder ist wie ein Abenteuerspielplatz für Erwachsene." Auf dem gibt es auch Elektroschocks: Beim "Electric Eel" (Elektrischer Aal) sollen wir durch einen Wassergraben kriechen. Von oben hängen Fäden herab, die uns Stromschläge verpassen. "Wir müssen einfach mit vielen anderen krabbeln, dann verteilt sich der Strom und es tut nicht ganz so weh", schlägt Andreas vor. Der Plan geht auf, ich spüre nur einmal ein Stechen an der Schulter. Wir freuen uns, sind mit Schlamm verschmiert, lachen und nehmen den Lauf nicht sonderlich ernst. Tough Mudder kommt aus den USA. Mittlerweile gibt es die Rennen auch in Australien, England, Irland, Kanada, Deutschland und Neuseeland . In der Bundesrepublik wagten sich erstmals 2013 rund 10 000 Sportler bei zwei Events auf die Strecke. 2014 bereits 30 000 in fünf Läufen. Ich bin heute beim Tough Mudder in Süddeutschland , genauer gesagt im Oettinger Forst, der früher viele fürstliche Schleppjagden erlebt hat. Heute dröhnen keine Schüsse durch die Luft. Während wir uns auf den Weg zum nächsten Hindernis machen, wummert die laute Musik vom Start-Ziel-Bereich herüber. Dort versammeln sich Teilnehmer aller Altersklassen. Viele sind sogar verkleidet: Schottenrock, Superman , Perücke, lila Jogginganzug. Nahezu jeder quält sich mit einem Lächeln durch den Schlamm. 20 Prozent davon Frauen. "Es ist normal, dass mehr Männer an den Start gehen. Wobei wir in letzter Zeit feststellen, dass sich auch immer mehr Teilnehmerinnen auf die Strecke wagen", erzählt Gordon. Zwei Kilometer weiter ist es wieder ruhig. Und auch von der Party-Stimmung auf der Festwiese ist hier nichts mehr zu hören. Vor uns läuft eine Gruppe junger Männer. Sie sehen aus, als verbrächten sie viel Zeit im Fitnessstudio. Doch davon scheinen sie nicht zu profitieren. "So langsam gehen die Waden zu", beschwert sich einer. 81 Prozent der Strecke führen durch den Wald. Keine Sonne, Temperaturen um 15 Grad und nasse Kleider. "Es ist echt kalt", sagt ein anderer. Ins Schwitzen kommen wir bei den "Berlin Walls" (Berliner Mauern). Drei hintereinander stehende, drei Meter hohe Holzwände. Teamarbeit ist gefragt. Sascha ist als Erster oben, reicht Christina und Andreas die Hand, während ich von unten drücke. Als die drei es auf die andere Seite geschafft haben, stehe ich plötzlich alleine vor der Wand. "Moment, ich helfe dir", ein Mann in Rot-Kreuz-Uniform kommt auf mich zu, verschränkt die Hände, hält sie als Stufe für mich bereit. Sich gegenseitig zu unterstützen, wird beim Tough Mudder eh großgeschrieben. Als Will Dean und Guy Livingstone ihre Idee für das Rennen vor ein paar Jahren für einen Wettbewerb an der Harvard Business School einreichten, hatten die beiden Briten vor allem ein Ziel: ein Event zu schaffen, bei dem der Teamgeist im Vordergrund steht. "Uns ist es wichtig, dass sich die Teilnehmer gegenseitig helfen", erklärt David Gordon. "Wir legen daher auch großen Wert darauf, dass Tough Mudder nicht als Wettrennen bezeichnet wird. Tough Mudder ist eine Herausforderung." Die Spaß macht. Und so springen wir von einem vier Meter hohen Holzturm in kaltes, dreckiges Wasser, hangeln uns an Ringen über ein Schlammbecken. An Hindernis 20 geht es eine sieben Meter hohe, rutschige Rampe hinauf. Ein Streckenposten ruft: "Wenn ihr das schafft, könnt ihr alles schaffen." Nach drei Stunden und 15 Minuten stehen wir vor der letzten Hürde. "Electroshock Therapy" (Elektroschock-Therapie) ist ein Vorhang aus geladenen Stromkabeln. Der Boden unter den Drähten ist eine knietiefe Matschgrube. Zwei Mädels schlängeln sich vor uns durch die Fäden, zucken kurz. Ein Mann fällt hin. Er steckt im Schlamm, seine Schuhe auch. Immer wieder trifft ihn ein Stromschlag. Seine beiden Teamkameraden eilen herbei, ziehen den verzweifelten Sportler aus dem Matsch. Und weiter geht's. Verletzte gibt es bei Tough Mudder kaum. Ein paar Schürfwunden, Verstauchungen. Wir sind an der Reihe. Für einen Moment überlege ich, ob ich mir das wirklich antun soll. Aber jetzt noch zu kneifen, so kurz vorm Ende. Nein, niemals. Kaum im Vorhang angekommen, trifft mich der Schlag. Christina zuckt zusammen, hält sich aber auf den Beinen. Wir kämpfen. Und dann: die Ziellinie. "Herzlichen Glückwunsch. Gut gemacht", eine Frau legt uns die Stirnbänder um. Und so strahlen Sascha, Christina, Andreas und ich auf dem Gruppenfoto. Gemeinsam haben wir es geschafft. Getreu dem Tough-Mudder-Gebot Nummer vier: "Ich gelobe, dass ich nicht jammern werde. Jammern ist was für Kinder."

 Fest zupacken und bloß nicht loslassen. Beim Hindernis „Hangin' Tough“ (Brutales Hängen) muss sich Sarah an schwingenden Ringen über ein Becken hangeln, das mit eisigem Wasser gefüllt ist. Fotos: Katrin Koch

Fest zupacken und bloß nicht loslassen. Beim Hindernis „Hangin' Tough“ (Brutales Hängen) muss sich Sarah an schwingenden Ringen über ein Becken hangeln, das mit eisigem Wasser gefüllt ist. Fotos: Katrin Koch

Die Kälte würgt meinen Atem ab. Die Gelenke schmerzen, die Muskeln igeln sich ein. Noch einmal nach Luft schnappen, noch ein Tauchgang. Geschafft. Klatschnass und schlammverschmiert klettere ich aus einem Becken voller Eiswürfel. "Kalt", ist das einzige Wort, das ich in diesem Moment hervorbringen kann. "Los, weiterlaufen", schreit jemand im Hintergrund. Ich gehorche, laufe weiter. Ohne zu überlegen. Stehen zu bleiben ist ohnehin keine Option. "Arctic Enema" (Arktischer Einlauf) ist das vierte Hindernis. 19 weitere folgen bei diesem Tough-Mudder-Run ("Rennen durch zähen Schlamm") im bayerischen Wassertrüdingen .

Immerhin quäle ich mich nicht allein. Meine Teamkollegen Andreas, Christina und Sascha sowie 1500 weitere Läufer müssen auch durch den Parcours. Freiwillig gehen sie die 18 Kilometer lange Strecke an. Freiwillig zahlen sie zwischen 60 und 140 Euro Startgeld. Freiwillig stellen sie sich 23 Herausforderungen. Sie überwinden mehrere Hügel mit 21 Prozent Steigung, freuen sich auf eine Flussdurchquerung, 301 Kubikmeter Schlamm und natürlich auf das Ziel. Wer es erreicht, bekommt die Tough-Mudder-Krone: ein orangefarbenes Frottee-Stirnband. Außerdem gibt es noch ein Finisher-T-Shirt. Und ein Bier oder Wasser im Plastikbecher.

"Pass auf, dass du dich nicht hektisch bewegst, sonst schwappt dir Wasser ins Gesicht", ruft Christina. Sie hat sich beim "Cage Crawl" (durch den Käfig kriechen) gerade rückwärts an einem Absperrgitter durch kaltes Wasser gezogen, hatte dabei nur zehn Zentimeter Platz zum Atmen. Jetzt sind wir an der Reihe, legen uns unters Gitter und ziehen uns Stück für Stück den Kanal entlang. Die Ohren sind unter Wasser. Nur Nase und Mund spitzen noch heraus. Nach zehn Metern tauchen wir auf. So schlimm war's gar nicht.

Doch David Gordon, Mitorganisator von Tough Mudder, weiß: "Cage Crawl ist für viele Teilnehmer eine ganz besondere Herausforderung." Das Hindernis koste vor allem Läufer mit Platzangst Überwindung. Aber genau das sei ja - neben einem Becher Bier - auch das Ziel: seine Ängste zu überwinden. "Die meisten Läufer möchten sich selbst und ihrer Umwelt beweisen, dass sie in der Lage sind, den Parcours zu bewältigen", sagt Gordon. Und: "Die Teilnehmer wollen was erleben. Weg vom langweiligen Alltag. Tough Mudder ist wie ein Abenteuerspielplatz für Erwachsene."

Auf dem gibt es auch Elektroschocks: Beim "Electric Eel" (Elektrischer Aal) sollen wir durch einen Wassergraben kriechen. Von oben hängen Fäden herab, die uns Stromschläge verpassen. "Wir müssen einfach mit vielen anderen krabbeln, dann verteilt sich der Strom und es tut nicht ganz so weh", schlägt Andreas vor. Der Plan geht auf, ich spüre nur einmal ein Stechen an der Schulter. Wir freuen uns, sind mit Schlamm verschmiert, lachen und nehmen den Lauf nicht sonderlich ernst.

Tough Mudder kommt aus den USA. Mittlerweile gibt es die Rennen auch in Australien, England, Irland, Kanada, Deutschland und Neuseeland . In der Bundesrepublik wagten sich erstmals 2013 rund 10 000 Sportler bei zwei Events auf die Strecke. 2014 bereits 30 000 in fünf Läufen. Ich bin heute beim Tough Mudder in Süddeutschland , genauer gesagt im Oettinger Forst, der früher viele fürstliche Schleppjagden erlebt hat.

Heute dröhnen keine Schüsse durch die Luft. Während wir uns auf den Weg zum nächsten Hindernis machen, wummert die laute Musik vom Start-Ziel-Bereich herüber. Dort versammeln sich Teilnehmer aller Altersklassen. Viele sind sogar verkleidet: Schottenrock, Superman , Perücke, lila Jogginganzug. Nahezu jeder quält sich mit einem Lächeln durch den Schlamm. 20 Prozent davon Frauen. "Es ist normal, dass mehr Männer an den Start gehen. Wobei wir in letzter Zeit feststellen, dass sich auch immer mehr Teilnehmerinnen auf die Strecke wagen", erzählt Gordon.

Zwei Kilometer weiter ist es wieder ruhig. Und auch von der Party-Stimmung auf der Festwiese ist hier nichts mehr zu hören. Vor uns läuft eine Gruppe junger Männer. Sie sehen aus, als verbrächten sie viel Zeit im Fitnessstudio. Doch davon scheinen sie nicht zu profitieren. "So langsam gehen die Waden zu", beschwert sich einer. 81 Prozent der Strecke führen durch den Wald. Keine Sonne, Temperaturen um 15 Grad und nasse Kleider. "Es ist echt kalt", sagt ein anderer.

Ins Schwitzen kommen wir bei den "Berlin Walls" (Berliner Mauern). Drei hintereinander stehende, drei Meter hohe Holzwände. Teamarbeit ist gefragt. Sascha ist als Erster oben, reicht Christina und Andreas die Hand, während ich von unten drücke. Als die drei es auf die andere Seite geschafft haben, stehe ich plötzlich alleine vor der Wand. "Moment, ich helfe dir", ein Mann in Rot-Kreuz-Uniform kommt auf mich zu, verschränkt die Hände, hält sie als Stufe für mich bereit.

Sich gegenseitig zu unterstützen, wird beim Tough Mudder eh großgeschrieben. Als Will Dean und Guy Livingstone ihre Idee für das Rennen vor ein paar Jahren für einen Wettbewerb an der Harvard Business School einreichten, hatten die beiden Briten vor allem ein Ziel: ein Event zu schaffen, bei dem der Teamgeist im Vordergrund steht. "Uns ist es wichtig, dass sich die Teilnehmer gegenseitig helfen", erklärt David Gordon. "Wir legen daher auch großen Wert darauf, dass Tough Mudder nicht als Wettrennen bezeichnet wird. Tough Mudder ist eine Herausforderung." Die Spaß macht.

Und so springen wir von einem vier Meter hohen Holzturm in kaltes, dreckiges Wasser, hangeln uns an Ringen über ein Schlammbecken. An Hindernis 20 geht es eine sieben Meter hohe, rutschige Rampe hinauf. Ein Streckenposten ruft: "Wenn ihr das schafft, könnt ihr alles schaffen."

Nach drei Stunden und 15 Minuten stehen wir vor der letzten Hürde. "Electroshock Therapy" (Elektroschock-Therapie) ist ein Vorhang aus geladenen Stromkabeln. Der Boden unter den Drähten ist eine knietiefe Matschgrube. Zwei Mädels schlängeln sich vor uns durch die Fäden, zucken kurz. Ein Mann fällt hin. Er steckt im Schlamm, seine Schuhe auch. Immer wieder trifft ihn ein Stromschlag. Seine beiden Teamkameraden eilen herbei, ziehen den verzweifelten Sportler aus dem Matsch. Und weiter geht's. Verletzte gibt es bei Tough Mudder kaum. Ein paar Schürfwunden, Verstauchungen. Wir sind an der Reihe. Für einen Moment überlege ich, ob ich mir das wirklich antun soll. Aber jetzt noch zu kneifen, so kurz vorm Ende. Nein, niemals. Kaum im Vorhang angekommen, trifft mich der Schlag. Christina zuckt zusammen, hält sich aber auf den Beinen. Wir kämpfen. Und dann: die Ziellinie. "Herzlichen Glückwunsch. Gut gemacht", eine Frau legt uns die Stirnbänder um. Und so strahlen Sascha, Christina, Andreas und ich auf dem Gruppenfoto. Gemeinsam haben wir es geschafft. Getreu dem Tough-Mudder-Gebot Nummer vier: "Ich gelobe, dass ich nicht jammern werde. Jammern ist was für Kinder."

 Erst über den Schlammhügel klettern und dann unter einem Baumstamm durchkriechen. Auf der 18 Kilometer langen Strecke überwinden Andreas, Sarah und Sascha (v.l.) insgesamt 23 Hindernisse.

Erst über den Schlammhügel klettern und dann unter einem Baumstamm durchkriechen. Auf der 18 Kilometer langen Strecke überwinden Andreas, Sarah und Sascha (v.l.) insgesamt 23 Hindernisse.

Zum Thema:

HintergrundHindernisläufe gibt es in ganz Deutschland, auch in unserer Region. So finden jährlich der Toughrun in Bexbach, die Viking Heroes Challenge in St. Wendel und der Urbanian Run in Trier statt. Weitere Events, die regelmäßig in der Bundesrepublik ausgetragen werden, sind Tough Mudder, KrassFit Challenge und Vull Wat Manns Loop. Infos dazu finden Interessierte im Internet. sara toughrun.deurbanianrun.comheroes-challenge.detoughmudder.dekrassfit.com/de-devull-wat-manns-loop.de

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