Immer weniger Kinder haben robuste Knochen

Bewegungsmangel schwächt die Knochen von Kindern und Jugendlichen. Das Skelett ist weniger robust als bei Gleichaltrigen, die regelmäßig körperlich aktiv sind. Das haben Wissenschaftler vom Institut für Biochemie und Biologie der Universität Potsdam nachgewiesen. Sie untersuchten in den Jahren 2000 und 2010 die Knochenrobustheit von sechs bis zwölf Jahre alten Kindern und verglichen die Ergebnisse. Gemessen wurde die Breite der Knochen am Becken und am Ellenbogen. Enorme Veränderungen

Bewegungsmangel schwächt die Knochen von Kindern und Jugendlichen. Das Skelett ist weniger robust als bei Gleichaltrigen, die regelmäßig körperlich aktiv sind. Das haben Wissenschaftler vom Institut für Biochemie und Biologie der Universität Potsdam nachgewiesen. Sie untersuchten in den Jahren 2000 und 2010 die Knochenrobustheit von sechs bis zwölf Jahre alten Kindern und verglichen die Ergebnisse. Gemessen wurde die Breite der Knochen am Becken und am Ellenbogen.

Enorme Veränderungen

In Deutschland nahmen insgesamt fast 4000 Mädchen und Jungen an den Studien teil. Zum Vergleich werteten die Forscher auch die Daten von rund 1300 russischen Kindern aus. Der Zehn-Jahres-Vergleich brachte ans Licht, dass die durchschnittliche Breite der gemessenen Knochen teilweise deutlich abgenommen hat. "Zehnjährige Kinder hatten im Jahr 2000 im Schnitt eine Beckenbreite von 20 bis 23 Zentimetern", erklärt Dr. Christiane Scheffler, die Leiterin der Studie an der Universität Potsdam . "Zehn Jahre später sind es durchschnittlich ein bis 1,5 Zentimeter weniger. Das ist für Körpermaße eine enorm hohe Veränderung."

Auch am Ellenbogen weisen heutige Kinder weniger Knochenmasse auf als gleichaltrige Mädchen und Jungen vor zehn Jahren. Bei zehnjährigen Jungen zum Beispiel ist es fast ein Millimeter weniger. Das ist viel angesichts der geringen durchschnittlichen Breite von zirka fünf bis sechs Zentimetern. Die Breite wurde am unteren Ende des Oberarmknochens gemessen.

Ein verbreitetes Problem

Auch bei den russischen Kindern waren im Zehn-Jahres-Vergleich die Knochen weniger robust. Es handelt sich augenscheinlich um ein verbreitetes Problem. Vor allem bei den zehn Prozent der leichtesten und schmächtigsten Kinder hat sich die Robustheit der Knochen im Vergleich zu den Kindern von vor zehn Jahren dramatisch verringert: bei den Jungen um bis 19 Prozent, bei den Mädchen um bis zu elf Prozent. Heute haben sogar die zehn Prozent der leichtesten Kinder weniger robuste Knochen als die "schlechtesten" drei Prozent von vor zehn Jahren.

Die Wissenschaftler suchten nach einer Erklärung für ihre Befunde und überprüften mehrere mögliche Ursachen. Genetische und ernährungsbedingte Einflüsse schlossen die Experten aus. Denn in nur zehn Jahren kann es nicht zu Änderungen im Erbgut kommen, die zu einer verminderten Robustheit der Knochen führen. Zudem haben sich in zehn Jahren die Ernährungsgewohnheiten nicht so gravierend verändert, dass durch Nährstoff- und Vitaminmangel die Schwächung der Skelette erklärt werden könnte. Die Nahrung muss vor allem ausreichend Kalzium enthalten, damit der Körper Knochen aufbauen kann. Einen Kalziummangel konnten die Forscher jedoch nicht feststellen. Kalzium steckt vor allem in Milch, Hartkäse, weiteren Milchprodukten, Fisch, Eiern, Kalziumsalz sowie grünen Gemüsesorten wie Grünkohl und Broccoli.

Somit kam für die Wissenschaftler als Ursache für die geringere Knochenbreite bei Kindern nur noch Bewegungsmangel in Betracht. Wie stabil und belastbar die Knochen im menschlichen Körper sind, hängt direkt von der Muskelmasse ab. Je mehr Muskeln , desto mehr Knochenmasse. "Das gilt schon für Kinder, was in wissenschaftlichen Studien zweifelsfrei nachgewiesen wurde", sagt Privatdozent Dr. Michael Fröhlich, Experte für Krafttraining an der Universität des Saarlandes . Knochenmasse und Knochendichte werden im Wesentlichen von vier Faktoren bestimmt: den Genen, den Hormonen, der Ernährung und der körperlichen Aktivität. Dabei hat die Aktivität den größten Einfluss.

Die Wissenschaftler der Universität Potsdam weisen allerdings darauf hin, dass sie nur die Knochenbreite gemessen haben, nicht jedoch die Knochendichte, also die Kompaktheit der inneren Strukturen. Aber auch die Messung der Knochenbreiten gibt Aufschluss über die Robustheit des Skelettes.

Das Potsdamer Forscherteam liefert eine Erklärung dafür, warum sich "Geh-Faulheit" sogar auf die Breite der Ellenbogen-Knochen auswirken kann. Beim Gehen und Laufen sind nicht nur die Beinmuskeln aktiv. Auch die Arme schwingen mit. Sie vollführen eine natürliche Gegenbewegung zu den Beinen, wodurch die Drehung des Oberkörpers minimiert und die Gangbewegung verbessert wird. "Beim Gehen sind also ganze Muskelketten aktiv", sagt Christiane Scheffler. "Damit die Arme schwingen können, muss die Armmuskulatur aktiviert werden. Dabei übt sie Wachstumsreize auf die Knochen aus. Bei Bewegungsmangel fehlen hingegen diese Reize. Die Ellenbogen-Knochen sind dann weniger robust." In der Biologie und Medizin weiß man schon lange, dass Strukturen des Körpers, die kaum genutzt und wenig belastet werden, sich schwächer ausbilden. "Kinder, die sich im Alltag nur wenig bewegen, benötigen ja im Grunde kein stabiles Skelett. Daher spart sich der Körper das Material und die Energie zum Aufbau robusterer Knochen", erläutert Christiane Scheffler. Die Biologin weist darauf hin, dass sich das Skelett des Menschen über viele Jahrtausende hinweg an die täglichen Beanspruchungen angepasst hat. Als Jäger und Sammler waren die Menschen viel zu Fuß unterwegs, durchschnittlich rund 30 Kilometer pro Tag. "Angesichts des heutigen Bewegungsmangels muss man davon ausgehen, dass sich die fürs Gehen und Laufen optimierten Knochen zurückbilden", sagt Scheffler.

Was nicht in jungen Jahren an Knochenmasse und Knochendichte angelegt wird, ist zu einem späteren Zeitpunkt nur unter gewaltigen Anstrengungen und kaum noch vollständig nachholbar. Allerdings wissen die Forscher noch nicht, wie sich ein bereits im Kindesalter schwaches beziehungsweise zierliches Skelett langfristig auswirkt. Möglicherweise kommt der Körper mit den verringerten Knochenbreiten zurecht, weil er weniger gefordert und belastet wird. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die betroffenen Kinder in späteren Jahren mehr mit Erkrankungen des Bewegungsapparats oder Osteoporose (Knochenschwund ) zu kämpfen haben. "Studien belegen einen Zusammenhang zwischen einem geringen Knochenaufbau in der Kindheit und einer Erkrankung an Osteoporose im Erwachsenenalter", erläutert Scheffler.

Die Potsdamer Forschergruppe stellte auch fest, dass übergewichtige Kinder meist robustere Knochen als leichte Kinder haben. Das gilt in allen Altersgruppen. Die Wissenschaftler vermuten, dass übergewichtige Kinder etwas stärkere Muskeln haben, weil sie ihr höheres Körpergewicht tragen müssen. Eine etwas kräftigere Muskulatur könnte verstärkte Wachstumsreize auf das Skelett ausüben und zu robusteren Knochen führen. Das Argument ist nachvollziehbar: Bei übergewichtigen Menschen müssen die Knochen stabiler sein als bei Dünnen, damit der Körper gegen die Einwirkungen der Schwerkraft aufrecht gehalten und bewegt werden kann.

Zusätzliche Knochensubstanz wird bei Übergewicht aber nicht aufgebaut. Das ist nur möglich, wenn regelmäßig intensive mechanische Reize, die beim Springen, Laufen oder Krafttraining auftreten, auf die Knochen einwirken. Ob Kinder robustere Knochen haben, hängt wesentlich davon ab, wie viel sie sich im Alltag bewegen. Die Potsdamer Wissenschaftler hatten die Mädchen und Jungen mit Schrittzählern ausgestattet. Diese zeichneten das gesamte Bewegungsprofil auf, neben den täglichen Fußwegen also auch die körperlichen Aktivitäten in der Freizeit wie Laufen, Radfahren, Klettern, Spielen. "Generell gilt, dass Kinder, die viel zu Fuß gehen, insgesamt körperlich aktiver sind", sagt Christiane Scheffler. "Und die aktiven Kinder haben in der Regel robustere Knochen." Es zeigte sich aber auch, dass ein alltäglicher allgemeiner Bewegungsmangel nicht durch kurzfristige sportliche Aktivität ausgeglichen werden kann.

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