Frauen toben sich aus im Männerparadies

Die P.M. Box ist ein Paradies für echte Kerle. Ein Ort, an dem ehrliche Kraftarbeit noch was zählt. Ringe und Taue baumeln von der Decke, Klimmzug stangen zieren die Wände, Medizinbälle, Sandsäcke und Hanteln stapeln sich in den Ecken. Bunte Graffiti bringen Leben in die Lagerhalle in Saarbrücken-St. Johann. Ein Ort mit Charme, der keine Gnade kennt. Mit abgenutzten Sesseln an der Eingangstür und ohne Vorhänge an den riesigen Fenstern. Ein Ort, an dem seit drei Jahren fast ausschließlich Frauen Gewichte stemmen. Eine von ihnen ist Magdalena Erward.

 Beim sogenannten Functional Training in der P.M. Box in Saarbrücken kommen Hanteln aller Art, Medizinbälle und Sandsäcke zum Einsatz. Fotos: Uwe Bellhäuser

Beim sogenannten Functional Training in der P.M. Box in Saarbrücken kommen Hanteln aller Art, Medizinbälle und Sandsäcke zum Einsatz. Fotos: Uwe Bellhäuser

Wenn die 32-Jährige die P.M. Box betritt, weiß sie: Gleich wird's ziemlich wehtun. "Die Einheiten sind hart. Aber ich gebe nicht auf", sagt sie, legt ihre Sporttasche auf die Holzbank, packt Handtuch und Wasserflasche aus. Ihr Blick wandert auf eine dunkelgrüne Tafel. Dort hat Manuela Subat das heutige Workout-Programm notiert.

Die Personal Trainerin und Inhaberin der Halle bietet verschiedene Kurse mit kuriosen Namen an: Deep Work, Pure Definition, Explosion, Functional oder Total Body Workout. "Die Einheiten verfolgen unterschiedliche Ziele", erklärt die 45-Jährige. Einige seien zum Kraftaufbau gedacht, andere zum Verbessern der Kondition. Aber alle haben eines gemeinsam: Zum Einsatz kommen Kettlebells, Langhanteln, Scheiben, Sandsäcke.

"Früher gingen Frauen joggen, haben ein paar Sit-ups gemacht. Heute trainieren sie mit Gewichten", erzählt sie. Die Völklingerin muss es wissen. Seit knapp 20 Jahren arbeitet sie bereits im Fitness-Bereich, hat den Wandel hautnah miterlebt.

Disziplin aus den USA

"Los geht's, noch eine Runde", "Po hoch", "Nicht ins Hohlkreuz fallen", "Tiefer runter". Subat braucht nicht viele Worte, um ihre Kunden zu motivieren. Oft stellt sie sich neben die Athleten, gibt Hilfestellungen, zeigt wie eine Übung richtig funktioniert. Subat hat sich schon als Kind gerne bewegt: Turnen, Leichtathletik, Handball. Nach einer Ausbildung zur Arzthelferin wechselt sie den Job. Wird Sport- und Gymnastiklehrerin. Zum Training trägt sie quietschbunte Schuhe, eine schwarze Leggins, ein graues Top mit der Aufschrift "Pure Motivation". Ihr Konzept: Kraftgeräte waren gestern. Freies Training ist angesagt. Bewegungsmuster des Alltags werden in das Workout integriert. Der Körper auf möglichst funktionelle Weise durchbewegt. Ein Konzept, das sich in den vergangenen Jahren immer mehr zum Trend entwickelt hat und den Namen Functional Training trägt.

Die Fitnessdisziplin stammt ursprünglich aus den USA. Dort sollten Hochleistungssportler belastbarer gemacht und die Verletzungsgefahr verringert werden. Statt einzelne Muskeln zu trainieren, haben sie Bewegungsabläufe eingeübt, die den ganzen Körper fordern. In Deutschland erlangte die Methode im Jahr 2006 Berühmtheit. Damals war Jürgen Klinsmann Trainer der Fußball-Nationalmannschaft. Er entschied, einen gewissen Mark Verstegen als Fitnesscoach seiner Jungs einzustellen. Der US-Amerikaner hatte eine perfekte Körperhaltung, war muskulös und doch beweglich. Er sollte die Mannschaft fit machen und auf die Weltmeisterschaft im eigenen Land vorbereiten. Das tat Verstegen - auf seine ganz eigene Art und mit Erfolg. Die anfängliche Skepsis der Führungsspitze des Deutschen Fußballbundes wich schnell. Die Spieler wurden immer besser. 2014 flog Verstegen mit nach Brasilien, führte die Mannschaft mit zum WM-Titel. Functional Training? Das war jetzt kein Humbug mehr, sondern eine geschätzte Trainingsmethode, die viele Hobby-Sportler einmal ausprobieren wollten.

Typisch sind Übungen mit Eigengewicht. Zum Beispiel Liegestütze, Klimmzüge oder Ausfallschritte. Wer das am Anfang noch nicht schafft, kann vereinfachte Formen dieser Übungen machen. Statt Klimmzüge etwa Rudern. Statt Liegestütze etwa Stützpress. Häufig nutzen die Sportler Schlingen, die an der Decke befestigt sind. An diesen Seilen mit Haltegriffen können sie die Beine einhängen, Sprünge und Ruderbewegungen ausführen. Beliebt sind auch Kniebeugen - mit oder ohne Langhantel. Immer wieder kommen Medizinbälle zum Einsatz, um Arme, Schultern und Rücken zu trainieren.

Magdalena Erward hat gerade Pause. Heute absolviert sie ein hochintensives Intervalltraining: acht Stationen à acht Sätzen, jeweils 20 Sekunden Belastung, zehn Sekunden Pause. Dabei wählt sie Gewichte, die etwa 60 Prozent des bewältigbaren Maximalgewichtes entsprechen. Das T-Shirt klebt an ihrem Körper, die Haare hängen nass und zerzaust ins Gesicht. Sie atmet tief ein und aus. Es geht weiter. Der Lärmpegel steigt. Hanteln klirren. Bälle klatschen auf den Boden. Holzkisten, die als Stufen dienen, knarren. Erward marschiert los. Sie trägt zwei jeweils 16 Kilo schwere Kettlebells etwa zehn Meter in eine Richtung. Macht eine Kniebeuge, dreht um. Und wieder von vorne.

Seit zwei Jahren kommt Erward regelmäßig zum Training in die P.M. Box. Regelmäßig, das heißt drei- bis viermal pro Woche. Die Polin ist von Beruf selbstständig. Beim Sport kann sie abschalten, den Stress des Alltags vergessen. Hochkonzentriert tritt Erward an die Gewichte heran. Wenn sie diese in die Luft stemmt, scheint sie über sich hinauszuwachsen. 15 Kilo hat sie innerhalb der ersten drei Monate abgenommen. "Das war Wahnsinn", sagt Erward. Sie habe ihr Leben damals völlig auf den Kopf gestellt. Neben dem intensiven Training habe sie ihr Essverhalten verändert. Statt Süßigkeiten gab's Obst und Gemüse. Statt Weißbrot kam Dinkelbrot auf den Tisch. "Den ersten Monat dachte ich, ich sterbe. Ich hatte überall Muskelkater", erinnert sich Erward. Doch die Qual hat sich gelohnt. Von Kleidergröße 44 ging's runter auf 38. "Das hat meinen Ehrgeiz geweckt." Und der ist seither nicht mehr erloschen.

Das gilt für die meisten Kunden der P.M. Box. Wer einmal hierher kommt, hört so schnell nicht mehr damit auf. Unter Subats Kunden sind auch ein paar Männer. "Quotenmänner", nennt die Trainerin diese und betont: "Bei uns ist jeder willkommen."

Muskelberge bleiben aus

Nichtsdestotrotz pumpen in der Lagerhalle überwiegend Frauen zwischen 16 und 50 Jahren. Es ist auffällig, dass alle Sportlerinnen hier von ihrem Aussehen her den typischen Bodybuilder-Klischees mit aufgeblasenen Oberarmen und extremen Waschbrettbäuchen widersprechen.

Auch bei Jasmine Walster sind keine Muskelberge zu erkennen. Obwohl die Verwaltungsfachangestellte schon seit sechs Jahren mehrmals pro Woche trainiert. In der P.M. Box habe sie schließlich "ein zweites Wohnzimmer" gefunden. Hier hat sie Zeit für sich. Hier kann sie Körper und Geist stärken. Anfangs hätten sie die schweren Hanteln und Gewichte abgeschreckt. "Ich hatte Angst, dass ich zu viele Muskeln aufbaue und noch breiter werde", erklärt die 27-Jährige. Eine Sorge, die viele Frauen plagt. Zu Unrecht, wie Jasmine Walster nach ein paar Monaten selbst feststellte. "Mein Körper ist durch das Krafttraining definierter geworden. Jetzt hängt nix mehr."

Den Körper in Form zu bringen, Menschen wieder an den Sport heranzuführen, ihnen eine Stütze zu bieten, das ist das Ziel des Trainings in der P.M. Box. Früher hat Subat Bootcamps geleitet. Sie hat ihre Kunden angeschrien, sie gepusht, sie bis ans Limit getrieben. Heute ist sie ruhiger geworden. Die dreifache Mutter verlangt immer noch Disziplin beim Training, betont aber: "Der Sport hier soll Körper, Geist und Seele guttun. Wir wollen nicht mit muskelbepackten Kerlen mithalten."

Daher haben die Frauen in der P.M. Box ihr ganz eigenes Reich geschaffen. Einen Ort, an dem ehrliche Kraftarbeit noch was zählt. An dem sie aber auch gerne mal eine Tanz-Einheit einlegen. Ringe und Taue baumeln von der Decke, immer wieder hängen rosa Schlingen dazwischen. Graffiti bringen Leben in die Lagerhalle. Ein besonderer Blickfang: In pinker Farbe ist der Schriftzug "Rock it" an die Wand gesprayt.

 Mit sogenannten Kettlebells, bis zu 16 Kilogramm schweren Kugelhanteln, powern sich die Frauen beim Fitnesstraining völlig aus.

Mit sogenannten Kettlebells, bis zu 16 Kilogramm schweren Kugelhanteln, powern sich die Frauen beim Fitnesstraining völlig aus.

 Von Kleidergröße 44 runter auf 38, in drei Monaten 15 Kilo abgenommen. Magdalena Erward liebt Functional Training.

Von Kleidergröße 44 runter auf 38, in drei Monaten 15 Kilo abgenommen. Magdalena Erward liebt Functional Training.

Es ist ein Ort mit Charme, der keine Gnade kennt. An dem die Sportlerinnen sich gegenseitig motivieren und unterstützen. Ein Ort an dem die Magnesia-Eimer ausdrücklich "Nur für Mädchen" gedacht sind. Ein Männer-paradies, in dem sich Frauen zu Hause fühlen.

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