Saarbrücker IT-Institut Cispa Datenschutz für den Datenschatz
Saarbrücken · Das Saarbrücker IT-Institut Cispa will die medizinische Forschung mit einer neuen Software-Generation voranbringen.
Wir stehen am Beginn einer neuen Ära der medizinischen Forschung, die Krankheiten wie Krebs, Alzheimer und Diabetes mit Methoden der Molekularbiologie beikommen will. Sie sucht nach den Auslösern dieser Leiden in unseren Körperzellen. Eines ihrer Hilfsmittel ist die Genanalyse. Deren modernste Verfahren ermöglichen es heute, das komplette Erbgut eines Menschen binnen weniger Tage zu bestimmen. Für die Forschung bedeutet das einen gewaltigen Fortschritt – und gleichzeitig ein Riesenproblem. Über 600 Gigabyte, das entspricht dem Speichervermögen einer kleinen Festplatte, umfasst der Gendatensatz eines Menschen. Dazu kommen im Laufe eines Lebens ungezählte und ganz unterschiedliche Informationen aus Blutproben, Röntgenbildern, aber vielleicht auch von den immer beliebter werdenden Fitness-Apps.
„Big Data“ heißt der Fachbegriff der Informatik, der gern bemüht wird, wenn es um die Analyse von solchen unstrukturierten, gewaltigen Datenmengen geht. Doch „Big Data“ bedeutet im Fall der medizinischen Forschung auch „Big Problem“. Es genügt nicht, nur Verfahren zu entwickeln, die mit den riesigen Datensammlungen umgehen können, die künftig anfallen. Den Datenschatz für die Forschung nutzbar zu machen, ist auch deshalb schwierig, weil dabei zwei sich widersprechende Bedingungen erfüllt werden müssen. Eigentlich müssten Wissenschaftler weltweit mit genetischen und anderen medizinischen Daten arbeiten können, damit es in der Forschung vorangeht. Doch um die Privatsphäre der Patienten und Testpersonen zu schützen, von denen die Informationen stammen, sind strikte Datenschutzregeln zu beachten. Die haben einen guten Grund: Sie sollen verhindern, dass aus anonymisierten Auswertungen Rückschlüsse auf einzelne Personen gezogen werden können. „Das Wissen, wie man vielen Menschen helfen könnte, steckt in diesen Daten.“ Doch derzeit komme die Forschung bei der Auswertung nicht so recht voran, fasst der Saarbrücker Informatik-Professor Michael Backes das Dilemma zusammen. „Das wollen wir jetzt ändern.“
Der Kryptografie-Spezialist leitet das neue Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit (Cispa) in Saarbrücken. Das Cispa will in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Forschungszentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) der Helmholtz-Gemeinschaft in Bonn neue IT-Verfahren entwickeln, die es erlauben sollen, Patientendaten unterschiedlichster Studien zusammenfassend auszuwerten, ohne dabei die Privatsphäre der Patienten zu verletzen. Michael Backes verspricht sich vom neuen IT-Forschungsgebiet „revolutionäre Durchbrüche“. Beide Helmholtz-Zentren haben ein gemeinsames Institut gegründet: das Helmholtz Medical Security and Privacy Research Center. Es soll seine Arbeit im Januar aufnehmen, Backes erwartet erste Resultate noch im Jahr 2019.
Welche Schwierigkeiten die Forschung heute hat, den auf viele unterschiedliche Speicher verteilten medizinischen Datenschatz zu heben, macht Michael Backes an einem Beispiel deutlich: Wenn Mediziner eines Instituts genetische Daten ihrer Patienten mit einer Software analysieren lassen möchten, die Informatiker eines anderen Instituts entwickelt haben, gelingt das häufig nicht. Gendaten dürfen wegen des Datenschutzes nicht weitergegeben werden, und die Programmierer der Analyse-Software wollen wiederum den Code ihrer Programme nicht herausgeben. Wie es trotzdem gelingen kann, bei sogenannten Mehrparteienberechnungen die Interessen beider Seiten zu berücksichtigen und gleichzeitig die medizinische Forschung zu befördern, soll das neue Institut zeigen.
Es soll dabei nicht im Elfenbeinturm arbeiten, sondern Lösungen für Probleme des Alltags entwickeln. Die Bonner Wissenschaftler der Helmholtz-Gemeinschaft fahnden unter anderem nach Ursachen der Demenz. Eine wichtige Rolle spielt dabei die sogenannte Rheinland-Studie mit rund 30 000 Teilnehmern. Sie untersucht unter anderem, wie Erbfaktoren, Lebenswandel und Umwelteinflüsse bei dieser Krankheit zusammenwirken.
Solche Studien führten im Ergebnis zu „galaktischen Datenmengen“, wie es Michael Backes formuliert. Zu ihrer Auswertung brauche es hocheffiziente Rechenverfahren, die gleichzeitig höchstmögliche Datensicherheit garantierten. Datenschutz sei richtig und wichtig, erklärt der Chef des Saarbrücker Forschungsinstituts. Doch wenn es dazu auch noch gelinge, Verfahren zu entwickeln, um Informationen solcher Studien für die wissenschaftliche Forschung ganz allgemein verfügbar zu machen, werde das die Medizin mit Sicherheit einen großen Schritt voranbringen. Genau hier liege die besondere Kompetenz des Cispa. „Wir sehen uns als Beschleuniger der medizinischen Forschung.“