Wissen Auch Superkeime haben eine Schwäche

Saarbrücken · Saarbrücker Wissenschaftler arbeiten an einer neuen Strategie im Kampf gegen gefährliche Bakterien.

 So sehen die nur etwa einen tausendstel Millimeter großen Bakterien der Art Pseudomonas aeruginosa unter einem Mikroskop aus. Foto: HZI

So sehen die nur etwa einen tausendstel Millimeter großen Bakterien der Art Pseudomonas aeruginosa unter einem Mikroskop aus. Foto: HZI

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Knapp ein Drittel aller Kinder in Deutschland kommt heute per Kaiserschnitt zur Welt. Der Eingriff zählt zu den sichersten Operationen überhaupt. Das Risiko für die Mutter, bei der Sectio caesarea, wie die Operation im Medizinerdeutsch genannt wird, ums Leben zu kommen, liegt im Bereich von hunderstel Promille. Das entspricht fast dem der natürlichen Geburt. Doch die Gefahr für Komplikationen wächst. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass unkomplizierte Standard-OPs – dazu zählt sie auch den Kaiserschnitt – als riskanter medizinischer Eingriff gelten werden. Die Ursache ist das steigende Infektionsrisiko. Das Risiko steigt, dass sich die Mutter eine Wundinfektion mit einem Bakterium zuzieht, gegen das dann kein Antibiotika mehr wirkt.

Welche Ängste multiresistente Bakterien wecken, zeigt auch eine Studie der Regierung Großbritanniens. Sie kommt zum Ergebnis, dass 2050 weltweit pro Jahr mehr Menschen an den Folgen nicht mehr zu behandelnder Infektionen sterben werden als heute durch Krebs. Weil die Pharmafirmen die Entwicklung neuer Antibiotikaklassen seit den 1990er Jahre haben schleifen lassen und diese Medikamente viel zu oft und zu zweifelhaften Zwecken eingesetzt wurden, nimmt die Zahl multiresistenter Keime schnell zu – die Entwicklung neuer Medikamente dauert dagegen Jahrzehnte.

Deshalb will die Pharmaforschung nun zusätzliche Strategien im Kampf gegen Superkeime entwickeln. Das ist auch Aufgabe der Arbeitsgruppe „Chemische Biologie der Kohlenhydrate“ von Dr. Alexander Titz am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung (HIPS) in Saarbrücken. Die Substanzen, die in Saarbrücken untersucht werden, sollen die Erreger nicht direkt attackieren, sondern ihnen die speziellen Fähigkeiten nehmen, die sie für eine erfolgreiche Infektion benötigen – ihre Virulenz soll reduziert werden, sagen die Experten. Dazu gehört unter anderem die Eigenschaft, sogenannte Biofilme zu bilden.

Ein Biofilm entsteht, wenn es Bakterien gelingt, sich zu einer klebrigen Schicht auf einer Oberfläche zu verbinden. Den bekanntesten Biofilm fürchten wir seit unserer Kindheit. Er führt zu Karies. Unter der Schutzschicht des Zahnbelags können Bakterien den Zahnschmelz durchlöchern. Doch Karies ist erst einmal nur schmerzhaft, auf der Oberfläche eines medizinischen Implantats in unserem Körper kann ein Biofilm tödlich sein. Auch wenn die Schicht nur Bruchteile eines Millimeters dick ist, ist sie doch für Antibiotika fast undurchdringlich. Unter dieser Schutzschicht wird damit praktisch jedes Bakterium resistent. Im Vergleich zu einer normalen Therapie müsste die Wirkstoffkonzentration bis zum Tausendfachen erhöht werden, um den biologischen Panzer zu durchdringen, erklärt Alexander Titz.

Die Saarbrücker Pharmaforscher haben nun jedoch einen Weg gefunden, den Schutzschirm der Bakterien zu zerreißen, berichten sie in der Fachzeitschrift Journal of the American Chemical Society. Sie hatten dabei einen typischen Krankenhaus-Problemkeim im Visier. Das Bakterium Pseudomonas aeruginosa ist einer der häufigsten Erreger sogenannter nosokomialer Infektionen. Es kann Lungenentzündungen, chronische Infektionen und Blutvergiftungen auslösen. Besonders gefährdet sind Mukoviszidose-Patienten.

Ihre fatale Klebkraft verdanken die Bakterien speziellen Proteinen, sogenannten Lektinen. Die sitzen auf der Zellwand und können bombenfeste Verbindungen mit weit verbreiteten Zuckermolekülen in ihrer Nachbarschaft bilden. Weil jedes Bakterium viele solcher Rezeptoren besitzt und sich ein Bakterium mit mehreren Zuckermolekülen verbinden kann, entsteht ein Netzwerk, das jedes Objekt umschließt, auf dem sich Pseudomonas aeruginosa einmal festgesetzt hat, erklärt Alexander Titz. Das kann eine Blumenvase sein, ein Beatmungsschlauch oder ein Organ im Körper eines Patienten.

Doch der Haftmechanismus ist gleichzeitig auch eine Schwäche von Pseudomonas aeruginosa, an dem die Pharmaforschung ansetzen kann. Die Bakterien verlieren einen zentralen Schutzmechanismus, wenn er ausgeschaltet werden könnte. „Wenn wir diesen Effekt aufheben, ist das so, als würde man den Zement aus einer Mauer entfernen“, erklärt Alexander Titz. „Sie fällt um.“

Die Saarbrücker Wissenschaftler haben nun im Labor einen Wirkstoff konstruiert, der genau diesen Effekt hat. Er verstopft die Kontaktstellen der Lektine auf der Oberfläche der Bakterien, verhindert so die Bindung an die Zuckermoleküle und hebt damit die Klebkraft des Biofilms auf. Alexander Titz: „Die Bakterien lösen sich aus ihrer Lebensgemeinschaft und können vom Immunsystem vernichtet werden.“

 Alexander Titz.

Alexander Titz.

Foto: Uni Konstanz

Im Labor und auch in Tierversuchen sei dieses Wirkstoffmolekül bereits erfolgreich getestet worden, bis zu einem klinischen Einsatz sei es allerdings noch ein ziemlich weiter Weg, erklärt der Saarbrücker Wissenschaftler, der für die Entwicklung gerade mit dem Innovationspreis Medizinische Chemie der Gesellschaft Deutscher Chemiker und der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft ausgezeichnet worden ist. Doch auch wenn es Jahre dauern könne, bis aus solcher Grundlagenforschung ein Medikament werde, lohne sich die Mühe in jedem Fall. Denn die Virulenz-Forschung, die nach dem Prinzip „Entwaffnen statt töten“ gegen die Bakterien vorgeht, habe wahrscheinlich einen grundsätzlichen Vorteil gegenüber einer Antibiotika-Behandlung. Die Saarbrücker Wissenschaftler gehen davon aus, dass Bakterien gegen diese Methoden, die nicht unmittelbar darauf abzielen, sie zu vernichten, keine Resistenzen entwickeln werden.

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