Sind Computer gerechter als Menschen? Wenn der Computer den Urlaub ablehnt

Saarbrücken · Die Dienstplanung in Gesundheitsberufen ist ein heikles Thema. Was wäre, wenn ein Computer sie übernehmen würde? Dieser Frage sind Forscher der Saar-Uni nachgegangen. Das Ergebnis ist überraschend.

 In Gesundheitsberufen ist Schichtarbeit die Regel. Bei der Dienstplanung kommt es dabei immer wieder zu Problemen. Forscher der Saar-Uni haben jetzt in einer Umfrage untersucht, ob Computersysteme für mehr Gerechtigkeit sorgen könnten.

In Gesundheitsberufen ist Schichtarbeit die Regel. Bei der Dienstplanung kommt es dabei immer wieder zu Problemen. Forscher der Saar-Uni haben jetzt in einer Umfrage untersucht, ob Computersysteme für mehr Gerechtigkeit sorgen könnten.

Foto: picture alliance / dpa/Peter Steffen

Die Älteren unter uns werden sich an diesen Spruch aus der Frühzeit der EDV noch erinnern – und in manchem Film aus dem vergangenen Jahrhundert ist er auch überliefert. „Das muss stimmen, das stammt vom Computer.“ Heute wissen wir’s besser. Börsenabstürze, tödliche Unfälle auf den Straßen und in der Luftfahrt und ungezählte Netzwerkpannen haben gezeigt, dass Computerprogramme eben keineswegs unfehlbar sind. Und doch scheinen Computer bei vielen Menschen bis heute in bestimmten Fragen einen dicken Vertrauensbonus zu genießen, zeigt eine Untersuchung von Psychologen der Saar-Uni. Weil ein Computer als emotionsfrei gilt, halten viele Menschen seine Entscheidungen offenbar für objektiv und gerecht.

Das Team der Saar-Uni untersuchte das Mensch-Maschine-Verhältnis anhand einer sehr persönlichen Frage. Es ging um die Freizeit- und Urlaubsplanung von Mitarbeitern des Gesundheitswesens, die im Schichtbetrieb arbeiten. 209 Pflegekräfte aller Fachrichtungen nahmen an der Online-Umfrage teil, unter ihnen über 80 Prozent Frauen, berichtet die Psychologiestudentin Nadine Schlicker, welche die Ergebnisse in ihrer Masterarbeit verarbeitete. Die Untersuchung sei damit zwar nicht repräsentativ, aber doch sehr dicht dran an der Realität, erklärt Dr. Markus Langer.

In der Online-Studie versetzten die Psychologen ihre Versuchspersonen in eine missliche Lage: Sie hatten einen Urlaubsantrag eingereicht, und der war abgelehnt worden – in einigen Fällen kommentarlos, in anderen mit wechselnden Begründungen. Die Entscheidung konnte bei diesem Experiment von einem menschlichen Vorgesetzten stammen oder von einer Maschine – die Teilnehmer wussten, von wem die Ablehnung kam.

Das Thema Dienstplanung ist höchst sensibel, denn im Medizinbetrieb haben die Macher der Pläne häufig eine Doppelrolle. Sie entscheiden nicht nur über die Arbeits- und Freizeiten ihrer Kollegen, sondern auch über die eigenen. Da kommen bei Konflikten schnell Interpretationen zu den Intentionen einer Entscheidung auf. Und deshalb, so die Forscher der Saar-Uni, untersucht die psychologische Forschung die Folgen des Einsatzes von Computerprogrammen zur Dienstplangestaltung.

War es gerecht, dass mein Urlaubsantrag ohne jede Begründung abgelehnt wurde? Die Antwort der Teilnehmer dieser Online-Umfrage lief zugespitzt auf Folgendes hinaus: Es kommt darauf an, wer ihn abgelehnt hat, erklärt Markus Langer. Wenn der Computer „Nein“ sagte, sei die Entscheidung bei den Versuchsteilnehmern in der Regel akzeptiert worden, kam die Ablehnung dagegen von einem Menschen, sei sie eher als ungerecht empfunden worden. Das decke sich mit Ergebnissen anderer psychologischer Studien, die zum Resultat gekommen seien, dass Menschen von ihresgleichen immer Erklärungen erwarten, von einer Maschine dagegen nicht unbedingt, so Langer. Die Entscheidung eines IT-Systems gelte bei vielen Menschen offenbar als objektiver, ergänzt Nadine Schlicker, die heute an der Uni Marburg am Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin an diesem Thema weiterarbeitet.

Dass der Computer immer Recht hat, glaubt heute kein Mensch mehr. Die aber offenbar verbreitete Annahme, dass Computerchips quasi automatisch gerechte Entscheidungen treffen, weil sie keine Gefühle kennen, bereitet jetzt den Psychologen Kopfzerbrechen. Da bestehe ja Gefahr, „dass Menschen automatische Entscheidungen weniger wahrscheinlich hinterfragen und so am Ende mögliche Fehler des Computers unentdeckt bleiben“, erklärt Nadine Schlicker. Das kann in der Medizin noch wichtig werden, in der digitale Assistenzsysteme auch als Ratgeber für Ärzte eine wichtigere Rolle spielen sollen. Das Thema werde bei kommenden Untersuchungen eine Rolle spielen, sagt Markus Langer.

Und auch ein weiteres Ergebnis ihrer Umfrage haben die Psychologen der Saar-Universität aufmerksam registriert. Als sie ihre Versuchspersonen baten, sich in die Position des Autors eines Dienstplanes zu versetzen, habe über die Hälfte der Teilnehmer, deren Urlaubsantrag von einem Menschen verworfen worden war, ihre Entscheidungen über die Urlaubspläne der Kollegen und damit die Verantwortung an die vermeintlich objektive Maschine abgegeben, erläutert Nadine Schlicker.  

 Nadine Schlicker

Nadine Schlicker

Foto: Nadine Sclicker
 Markus Langer

Markus Langer

Foto: UdS

Die Psychologen interpretieren das Ergebnis ihrer Untersuchung so, dass es im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz, in der Computersysteme immer größere Bereiche des täglichen Lebens  durchdringen, wichtig sein wird, dass Menschen Verantwortung nur in wohlerwogenen Fällen in die Hände einer Maschine legen. Es sei in vielen Fällen vernünftig, so Nadine Schlicker und Markus Langer, dass ein Mensch den objektiven Ratschlag eines Computersystems für Entscheidungen zu Rate ziehe. Es sei aber ebenso wichtig, dass er diesen Rat auch verwerfen könne. „Und auf keinen Fall sollte darauf verzichtet werden, eine Entscheidung zu erklären.“ Das zeige auch die Dienstplan-Studie: Die Akzeptanz einer Entscheidung über den Dienstplan sei am stärksten gewesen, wenn ein menschlicher Vorgesetzter sie getroffen habe.

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