Neu im Kino Spannendes Psychogramm

✮✮✮✮ „Weißer, weißer Tag“ von Hlynur Pálmason: Posthumes Eifersuchtsdrama.

 Ingimundur (Ingvar Sigurðsson) findet mit Hilfe seiner Enkel zu sich selbst zurück.

Ingimundur (Ingvar Sigurðsson) findet mit Hilfe seiner Enkel zu sich selbst zurück.

Foto: Arsenal Film

Dichter Nebel liegt über der Landschaft. Die Grenze zwischen Himmel und Erde ist nicht mehr erkennbar. Ein Auto fährt in zügigem Tempo die Küstenstraße entlang, kommt von der Fahrbahn ab, durchbricht die Leitplanke und verschwindet im milchigen Nichts.

Auch Jahre später ist Ingimundur (Ingvar Sigurðsson), dessen Frau hinter dem Steuer des Unfallwagens saß, über deren Tod nicht hinweggekommen. Der Polizeichef der kleinen isländischen Gemeinde ist vom Dienst suspendiert und muss jede Woche zum Psychologen. „Wer sind Sie? Beschreiben Sie sich“, fordert der Therapeut ihn auf. „Ich bin ein Mann. Vater. Großvater. Polizist. Witwer“, antwortet Ingimundur langsam, ohne zu zögern. Seine Antworten bleiben karg. Von sich zu erzählen, bereitet ihm Unbehagen. Lieber würde er weiter arbeiten an den Stallungen, die er gerade zu einem Wohnhaus umbaut für seine Tochter und die Enkelin Salka (Ida Mekkin Hlynsdottir), um die er sich regelmäßig kümmert. Wenn er mit dem Mädchen zusammen ist, bricht sein Schweigen auf, verändert sich der oftmals leere Blick, als sei das Kind die letzte tragfähige Verbindung zum Leben.

Eines Tages bringt die Tochter einen Karton vorbei mit einigen Habseligkeiten der verstorbenen Mutter: Alte Fotos, ein paar Bücher aus der Bibliothek, eine Bluse, die noch nach ihr riecht, und eine Videokamera. Als Ingimundur die Kassette darin abspielt, sieht er unwiderlegbare Beweise dafür, dass seine Frau ihn mit einem anderen betrogen hat. Mit dem Eifer des Ermittlers geht er der Sache nach, überwacht den Verdächtigen und merkt immer deutlicher, dass die Trauer einer unkontrollierbaren Wut weicht.

„Weißer, weißer Tag“ von Hlynur Pálmason könnte man als posthumes Eifersuchtsdrama bezeichnen. Bis auf einige, wenige ausformulierte Ausbrüche spielt sich dieses Drama im Gesicht und im Körper von Ingvar Sigurðsson ab. Der bekannte isländische Schauspieler ist ein Mann, dem man einen ganzen Film lang ohne sich zu langweilen beim Zeitungslesen zuschauen könnte. Auch hier ist er ein Ereignis für sich, weil er die Stimmungen seiner Figur unter einer nahezu stoischen Fassade zum Brodeln bringt. Durch ihn wird „Weißer, weißer Tag“ zu einem spannenden Psychogramm eines Mannes, der durch eine sinnlose, nachtägliche Eifersucht aus seiner emotionalen Erstarrung herauskatapultiert wird und durch den klaren Verstand eines Kindes zu sich selbst findet.

Island/Dän/Schweden 2019, 109 Min., Filmhaus (Sb); Regie und Buch: Hlynur Pálmason; Kamera: Maria von Hausswolff; Musik: Edmund Finnis; Besetzung: Ingvar Eggert Sigurdsson, Ida Mekkin, Hilmir Snaer Gudnason, Sara Dögg Asgeirsdóttir.

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