Jetzt im Kino: „Sorry We Missed You“ Mit diesem Familienvater muss man mitfiebern

✮✮✮✮✮ Neu im Kino: „Sorry We Missed You“ von Ken Loach: Spannendes Alltagsdrama aus dem neoliberalen England.

 Skeptischer Blick: Kris Hitchen überzeugt in der Rolle des Ricky Turner im nordenglisachen Newcastle.

Skeptischer Blick: Kris Hitchen überzeugt in der Rolle des Ricky Turner im nordenglisachen Newcastle.

Foto: NFP Filmwelt

Maloney ist ein Drecksack. Was die Leute erst dann kapieren, wenn sie ihm auf den Leim gegangen sind. Denn es ist Maloneys Job, Leute einzuseifen, die dringend Geld brauchen und das mit anständiger Arbeit verdienen wollen. In Englands kapitalistisch neoliberalem Geschäftsklima ist er der Mann fürs Grobe, der die Leistung eintreibt, damit die über ihm mehr an einem Tag verdienen als ihre Beschäftigten in einem Monat.

Familienväter sind Maloneys Spezialität und Ricky Turner ein besonders gefundenes Fressen. Ricky ist die Sorte Mann, die es nie böse meint, aber stets im falschen Moment bei wichtigen Leuten aufbraust und mal wieder eine Stelle braucht. Deshalb heuert er für Maloney als Postzusteller an.

Dafür fährt man am besten einen eigenen Wagen, erklärt Maloney, weil man als Subunternehmer mehr verdient. Die gesundheitlichen Risiken und den Druck, der sich aus der finanziellen Vorleistung ergibt, erwähnt Maloney nicht. Deshalb handelt Ricky entschlossen. Er verkauft den Wagen seiner Frau, obwohl die für ihre Termine als Krankenpflegerin aufs Auto angewiesen ist, und ersteht einen Transporter, gebraucht und ohne Versicherung, weil dafür das Geld nicht reicht. Damit beginnt Rickys Karriere im Akkord der vermeintlichen Selbständigkeit.

Und wieder einmal legen Regisseur Ken Loach und sein Drehbuchgefährte Paul Laverty den Finger in die Wunden einer Gesellschaft, in der ganz offensichtlich immer mehr die falschen Leute das Sagen haben und keiner eine Chance zum Aufstieg bekommt, der noch an die Mär vom Lebensunterhalt durch seiner Hände Arbeit glaubt. Aus einer solchen Grundidee ließe sich leicht ein verbiestertes Traktat destillieren, aber Loach hat längst gelernt, die alte Wut auf Missstände und Ungerechtigkeiten in einen noch klareren Blick auf die Dinge zu kanalisieren.

Anders als in seinen filmischen Großtaten „Riff Raff“ oder „My Name Is Joe“ scheint dem britischen Regisseur der sonst immer noch durchscheinende Sinn für Humor vergangen. Es ist die unbedingte Klarheit in der Problemschilderung, weshalb dieses Alltagsdrama aus dem nordenglischen Newcastle so wahrhaftig in Drehbuch und Darstellung und so zupackend in der Mileuzeichnung ist.

Die Folge daraus ist schierer Suspense. Denn sobald Ricky Turner ins Auto steigt und losfährt, beginnt man unweigerlich mitzufiebern, dass dem armen Kerl hoffentlich kein Unfall oder Schlimmeres passiert. Man hofft, dass Rickys Frau nicht den Bus verpasst, der halbwüchsige Sohn an diesem neuen Tag nicht wieder Mist bauen wird. Es sind Alltagskonflikte, künstlerisch virtuos kanalisiert, weil der Filmemacher sein Handwerk versteht. Am Ende geht nicht alles verloren. Maloney hat derweil schon neue Opfer im Visier.

GB 2019, 101 Min., Filmhaus (Sb); Regie: Ken Loach; Buch: Paul Laverty; Kamera; Robbie Ryan; Musik: George Fenton; Besetzung: Kris Hitchen, Debbie Honeywood, Rhys Stone, Katie Proctor, Ross Brewster.

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