Intrige Ein keineswegs lupenreiner Held

✮✮✮✮ „Intrige“ von Roman Polanski: Spannender historischer Thriller über die Dreyfus-Affäre.

 Ist Dreyfus wirklich schuldig? Dem Offizier Marie-Georges Picquart (Jean Dujardin) kommen Zweifel.

Ist Dreyfus wirklich schuldig? Dem Offizier Marie-Georges Picquart (Jean Dujardin) kommen Zweifel.

Foto: Weltkino Verleih

Roman Polanski war nie ein Regisseur für den ganz großen Schauwert um seiner selbst willen. Lieber sezierte er das psychologische Unterfutter von Filmfiguren, zu denen er wenig Sympathie, ja oft genug Ablehnung und sogar Verachtung zu empfinden schien. Nun aber, in seinem jüngsten Film, ist das auffallend anders.

Gleich die erste Einstellung wirkt seltsam entrückt, obwohl es um so viel geht. Ein Exerzierplatz, umsäumt von Hunderten Soldaten unter dunklem Himmel, bildet die Kulisse, die ein Offizier nebst Eskorte durchschreitet, um die Schmach der soldatischen Entehrung erdulden zu müssen. Alfred Dreyfus ist bis zu diesem Zeitpunkt ein ehrgeiziger Offizier mit glänzender Karriere. Allerdings ist Dreyfus auch Jude, was im Generalstab als Schandfleck gewertet wird. Der Mann muss weg. In einem Sensationsprozess wird Dreyfus wegen Hochverrats zu lebenslänglicher Haft auf der Teufelsinsel verurteilt.

Einige Zeit später wird Jacques Picquart nach Paris beordert. Der angesehene Colonel ist glänzend beleumundet und bekommt die Leitung des Geheimdienstes zugesprochen. Picquart findet eine desolate Dienststelle vor, deren Zweck nicht Aufklärung, sondern das Gegenteil zu sein scheint. Bei seinen Aufräumarbeiten stößt er auf Dokumente, die auf ein ungeheuerliches Komplott weisen. Picquart erkennt die perfide Natur einer Gegnerschaft, die für Standes- und Rassendünkel die Integrität des Staates zu missbrauchen bereit ist.

Vor über zehn Jahren bereits zeigte Roman Polanski sich an einer filmischen Aufbereitung der Dreyfus-Affäre interessiert und trat dafür in Kontakt mit dem von ihm hoch geschätzten Autor Robert Harris. Polanski adaptierte Harris‘ Roman „Der Ghostwriter“, Harris verfasste in der Folge seine Romanversion der Dreyfus-Affäre, aus der Polanski nun einen Film von bestechender Klarheit und Präzision destillierte. Räume mit staubigen Aktenbergen und verqualmter Holztäfelungen erwirken ein muffiges Klima, in dem hinter jeder Tür ein unerwünschter Lauscher Geheimnisse verraten und Ermittlungen zunichtemachen kann.

Jean Dujardin spielt einen keineswegs lupenreinen Helden; Picquart unterhält eine Affäre mit einer verheirateten Frau, wofür sich Polanski einmal mehr der üppigen Reize seiner Frau Emmanuelle Seigner bedient. Die moralische Verfehlung aber wiegt in der Deutung von Polanski/Harris nichts angesichts einer untadeligen Dienstpflicht gegenüber höheren Interessen. Der Film dazu ist ein dicht gewirkter historischer Thriller, der so spannend ist, dass es keine Rolle spielt, dass im Geschichtsbuch steht, wie es ausgehen wird.

Fra/Ita 2019, 132 Min., Camera Zwo (Sb); Regie: Roman Polanski; Buch: Polanski, Robert Harris; Kamera: Pawel Edelman; Musik: Alexandre Desplat; Besetzung: Jean Dujardin, Louis Garrel, Emmanuelle Seigner, Grégory Gadebois.

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