Zwei Jugendliche, zwei Welten, ein Ziel Erwachsenwerden verbindet über alle Grenzen

✮✮✮✮ „Roads“ von Sebastian Schipper: Gelungenes Roadmovie mit aktuellem Thema.

 Gyllen (Fionn Whitehead) und William (Stéphane Bak) auf ihrer Reise.

Gyllen (Fionn Whitehead) und William (Stéphane Bak) auf ihrer Reise.

Foto: Studiocanal

Nach seinem ungeschnittenen Echtzeitdrama „Victoria“ rückt Sebastian Schipper nun in seinem neuen Film „Roads“ zwei achtzehnjährige Jungs ins Zentrum. Der eine kommt aus London, der andere aus dem Kongo. Sie treffen sich nachts auf einer Landstraße in Marokko, wo Gyllen (Fionn Whitehead) mit dem geklauten Wohnmobil seines Stiefvaters liegen bleibt. Er ist auf der Flucht vor seiner zerrütteten Familie und will zu seinem leiblichen Vater nach Frankreich. Auf einer ganz anderen Flucht ist William (Stéphane Bak). Er ist aus dem Kongo aufgebrochen, um seinen älteren Bruder zu finden, der als Flüchtling im französischen Calais verschollen ist.

Am Anfang gehen die beiden jungen Männer ein Zweckbündnis ein und schaffen es tatsächlich mithilfe eine durchgeknallten Hippies (Moritz Bleibtreu) über Tanger mit der Fähre nach Europa, ohne dass William entdeckt wird. Mit jedem Kilometer und jedem Abenteuer, das sie miteinander bestehen, wächst die Freundschaft der beiden Achtzehnjährigen. Auch wenn sie aus sehr verschiedenen Kulturen kommen, verbindet den privilegierten Briten und den afrikanischen Flüchtling der gemeinsame, unverfrorene Seelenzustand zwischen Jugend und Erwachsenensein.

 Was auf dem Papier vielleicht nach einem allzu gut gemeinten Multi-Kulti-Plot klingt, entwickelt sich unter Schippers beherzter Regie zu einem vollkommen glaubwürdigen Freundschafts-Roadmovie, das fest in der europäischen Realität verankert ist. Wenn die beiden schließlich in Calais ankommen, öffnet der Film seinen Blick vom individuellen Schicksal auf ein größeres Gesamtbild, in dem das emotionale Ausmaß der Situation für die Flüchtlinge aus der Innenperspektive gezeigt wird. Dennoch bleibt „Roads“ nah dran an seinen beiden jugendlichen Hauptfiguren, deren Freundschaft in die Mühlen der Wirklichkeit gerät. Schipper beweist hier, wenn auch auf ganz andere Weise als in „Victoria“, erneut sein fabelhaftes Gespür für die Dynamik der Erzählung, in der abenteuerliche Road-Movie-Sequenzen, melancholische Ruhezonen, halbdokumentarische Beobachtungen und Szenen von großer, emotionaler Aufrichtigkleit stimmig ineinander greifen.

D/F 2018, 99 Min., Filmhaus (Sb); Regie: Sebastian Schipper, Buch: Schipper, Oliver Ziegenbalg; Kamera: Matteo Cocco: Musik: The Notwist; Besetzung: Fionn Whitehead, Stéphane Bak, Moritz Bleibtreu, Ben Chaplin, Marie Burchard.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort