Jetzt im Kino Ein Film, der ohne große Worte auskommt

✮✮✮✮✮ Neu: „Niemals Selten Manchmal Immer“ von Eliza Hittman: Eine Perle des Indie-Kinos.

 Talia Ryder als Skylar (links) und Sidney Flanigan als Autumn.

Talia Ryder als Skylar (links) und Sidney Flanigan als Autumn.

Foto: UPI/Angal Field

„Und das ist das schönste Geräusch, das du je gehört hast“ sagt die Ärztin mit leuchtenden Augen zu Autumn (Sidney Flanigan), als sie das Ultraschallgerät lauter stellt. Aber der rasende Herzschlag des Embryos in ihrem Bauch löst bei der 17-jährigen Schülerin nicht den gewünschten Erleuchtungseffekt aus. Kein Lächeln, kein Staunen, keine Rührung zeichnet sich in ihrem Gesicht ab. Nur die Pupillen wandern hin und her und dahinter erkennt der Zuschauer die mit aller Kraft gedrosselte Panik.

Autumn lebt in einem Dorf in Pennsylvania, wo sich die vermeintliche „Testklinik“ als Antiabtreibungszentrum entpuppt und sie die Erlaubnis der Eltern für einen Abbruch bräuchte. Ein Gespräch mit Mutter oder Stiefvater kommt für Autumn nicht infrage. Nur Skylar (Talia Ryder) vertraut sie sich an. Die patente Cousine nimmt sich der Angelegenheit an und steigt mit Autumn in einen Bus nach New York City, wo eine 17-Jährige ohne elterliche Zustimmung abtreiben lassen kann. Was als Tagesreise geplant war, weitet sich für die beiden Mädchen zu einer mehrtägigen Odyssee.

In „Niemals Selten Manchmal Immer“ zeigt Eliza Hittman die systematischen Hürden auf, die eine Minderjährige in den USA auf dem Weg zur Abtreibung überwinden muss. Das Herz des Filmes ist die Freundschaft der beiden Teenager, die oft wortlos kommunizieren und ihre eigenen Erfahrungen mit der männerdominierten Außenwelt haben. Dem gegenüber steht die medizinische und psychologische Betreuung der Mitarbeiterinnen in der New Yorker Abtreibungsklinik, die die Situation der Patientin mit professioneller Sensibilität erfassen, ohne ihr zu nahezutreten.

Obwohl das Thema Abtreibung in der Trump-Ära von konservativer Seite scharf ins Visier genommen wird, verkneift sich Hittman jeden Anflug von Gegenpropaganda. Fast schon nüchtern wirkt ihr filmischer Stil, der nicht auf große Worte und Sentiment setzt, sondern präzise über Bilder, Gesten und Blicke die Welt aus der Perspektive einer 17-Jährigen beschreibt. Autumns Entscheidung für eine Abtreibung wird in keiner Weise begründet, rationalisiert oder emotionalisiert. Sie ist 17. Sie ist schwanger. Es ist ihr Körper, ihr Leben, ihre Entscheidung. Hittmans Film transportiert in jeder Filmsekunde den Respekt vor einem Mädchen, das eine solche Entscheidung treffen muss. „Niemals Selten Manchmal Immer“ ist eine Perle des US-Independent-Kinos. Wie wichtig ein solches Kino, das sich mit gesellschaftlichen Problemen auf Augenhöhe auseinandersetzt, gerade heute ist – das beweist dieser Film mit jedem Atemzug seiner jugendlichen Protagonistin.

USA 2019, 102 Min., Camera Zwo (Sb); Regie und Buch: Eliza Hittman; Kamera: Hélène Louvart; Musik: Julia Holter; Besetzung: Didney Flanigan, Talia Ryder, Théodore Pellerin, Ryan Eggold.

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