Kinostart Eine Liebeserklärung an die Figuren

✮✮✮✮✮ „Beale Street“ von Barry Jenkins ist ein Meisterwerk mit unverwechselbarer Sprache.

 Eine riesengroße, ergreifende Lovestory: Kiki Layne als Tish und Stephan James als Alonzo „Fonny“.

Eine riesengroße, ergreifende Lovestory: Kiki Layne als Tish und Stephan James als Alonzo „Fonny“.

Foto: Tatum Mangus Annapurna Pictures DCM/Tatum Mangus / Annapurna Picture

„Ich wünsche niemanden, dass er den, den er liebt, durch eine Glasscheibe anschauen muss“ sagt die junge Frauenstimme zu Beginn aus dem Off. Gemeint ist die Scheibe im Besucherraum des Gefängnisses, welche die 19-jährige Tish (KiKi Layne) von ihrem Geliebten Fonny (Stephan James) trennt. Aber in Barry Jenkins neuem Film „Beale Street“ impliziert dieser Satz auch das Versprechen, die unsichtbaren Barrieren, die das Kinopublikum von den Figuren auf der Leinwand trennen, einzureißen und die direkte, emotionale Berührung zu suchen.

Dass Jenkins dazu in der Lage ist, hat er bereits in „Moonlight“ bewiesen, der vor zwei Jahren als bester Film mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Sein neuer Film nach dem Roman von James Baldwin zeigt, wie ein junges afroamerikanisches Paar im Harlem der 70er-Jahre in die Mühlen von Polizei- und Justizwillkür gerät. Zwei Zeitebenen werden elegant ineinander verschlungen: Der Kampf der schwangeren Tish und ihrer Familie um die Freilassung des Verlobten, der zu unrecht eines Vergewaltigungsvergehens angeklagt ist, sowie in Rückblenden die aufblühende Liebe des jungen Paares, das gerade dabei ist, sich ein gemeinsames Leben aufzubauen.

Dabei arbeitet der Film nicht mit gängigen Empörungsmustern. Dass ein Afroamerikaner unschuldig im Gefängnis landet, gehört für die Figuren zum rassistischen Normalzustand. Sehr viel effizienter stellt Jenkins dem juristischen Willkürakt eine riesengroße Lovestory gegenüber, wie man sie seit vielen, vielen Jahren nicht mehr auf der Leinwand gesehen hat. Sie umfasst nicht nur Tish und Fonny, die um ihr Lebensglück kämpfen, sondern auch deren Familie, die den letzten Verteidigungswall gegen die strukturelle Gewalt bildet. In diesem Konzept offensiver Romantisierung ist jede einzelne Einstellung eine Liebeserklärung an die Figuren.

Die Großaufnahmen, die Jenkins wie kein anderer einzurichten versteht, greifen direkt ins Herz. Die Veränderungen der Gesichtsmuskulatur und der Blicktiefe werden zum zentralen, erzählerischen Mittel. Expressive Kameraarbeit, artifizielle Präzision und emotionale Dringlichkeit arbeiten auf eine sehr sinnliche Weise Hand in Hand. „Beale Street“ gehört durchaus in eine Reihe mit epochalen Liebesfilmen wie Wong Kar-Weis „In the Mood for Love“ und ist gleichzeitig das kraftvollste, cineastische Bekenntnis, das man sich zur „Black Lives Matter“-Kampagne vorstellen kann. Erst drei Filme hat Jenkins gedreht und darin eine eigene, unverwechselbare Sprache, künstlerische Reife und ästhetische Klarheit bewiesen.

USA 2018, 120 Min., Camera Zwo (Sb); Regie und Buch: Barry Jenkins; Kamera: James Laxton; Musik: Nicholas Britell; Besetzung: Kiki Layne, Stephan James, Regina King, Teyonah Parris.

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