„Irgendwann im Herbst 83“ Party, Spaghetti und ein Suizidversuch

✮✮✮✮ „Auerhaus“ von Neele Leana Vollmar: Starke Geschichte über die Freiheit der Jugend.

 Sie mischen zusammen mit ihren Freunden die Provinz auf: Damian Hardung als Höppner und Luna Wedler als Vera.

Sie mischen zusammen mit ihren Freunden die Provinz auf: Damian Hardung als Höppner und Luna Wedler als Vera.

Foto: Warner Bros./2019 Warner Bros.

„Irgendwann im Herbst 83“ klärt die Einblendung auf. „Wir sind alle beschädigt!“ befindet der junge Ich-Erzähler (Damian Hardung) und macht das Publikum mit sympathischer Stimme gleich zum Vertrauten. Höppner heißt der sensible Abiturient, einen Vornamen gönnte ihm schon der Jugendbuch-Besteller von Bov Bjerg nicht.

Sein bester Kumpel Frieder (Max von der Groeben) hat größere Päckchen zu tragen. Ohne, dass es den anderen auffällt, leidet der scheinbar robuste Teenager am Leben. Unvermittelt unternimmt er im elterlichen Bauernhof einen Selbstmordversuch. Frieder wird gerettet, gerettet und kommt in die Psychiatrie. Für Höppner ist das kein Zustand, schließlich braucht er seinen Kumpel dringend, nicht nur weil der ihm die Hausaufgaben schreibt.

Spontan beschließen die Freunde, im leerstehenden Domizil des Großvaters, dem Auerhaus, eine WG zu gründen. Mitbewohner sind schnell gefunden. Höppners Freundin Vera ist sofort dabei. Streberin Cäcilia nutzt gleichfalls die Chance, dem behüteten Elternhaus endlich zu entfliehen. Die psychotische Brandstifterin Pauline bringt Frieder spontan aus der Anstalt mit. Mitten im verschlafenen Dorf blüht plötzlich Hippie-Leben auf! Zwischen Party, Spaghetti und Kiffen hat die WG allerlei Probleme zu knacken. Derweil Frieder immer wieder von seinen düsteren Gedanken eingeholt wird. Je näher Weihnachten rückt, desto dramatischer überschlagen sich die Ereignisse. Die Figuren werden mit psychologischer Präzision gut ausgepolstert, die Konflikte dürften reichlich déjà-vus beim Publikum auslösen. Vor allem gelingt die Balance zwischen ausgesprochen amüsant und ziemlich ernst.

Suizid ist ein ebenso heikles wie drängendes Thema: Selbstmord steht an zweiter Stelle der Todesursachen im Jugendalter! Frieders Freunde schwanken in ihren Reaktionen auf seine Tat zwischen ohnmächtigem nicht akzeptieren und irgendwo verstehen – und spielen den Ball souverän ins Feld der Zuschauer. Atmosphärisch gerät die Zeitreise in die 80er zum hübsch ausgestatteten Nostalgie-Trip mit Kriegsdienstverweigerung, RAF-Fahndungsplakaten oder der Polizei im gemütlichen VW-Käfer. Damian Hardung („Das schönste Mädchen der Welt“) und Max von der Groeben („Fack ju Göhte“) geben die ungleichen Buddys so charismatisch wie glaubwürdig und umwerfend ulkig. Bleibt abzuwarten, ob der orangefarbene Retro-Anorak von Höppner zum Kultobjekt avanciert.

Deutschland 2019, 104 Min., Camera Zwo (Sb); Regie: Neele Leana Vollmar; Buch: Vollmar, Lars Hubrich; Kamera: Frank Lamm; Musik: Oliver Thiede; Besetzung: Damian Hardung, Max von der Groeben, Luna Wedler, Devrim Lingnau.

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