Neu im Kino Und ganz zum Schluss ein Paukenschlag

✮✮✮✮ Neu im Kino: „Il Traditore – Der Verräter“ von Marco Bellocchio: Packendes Mafia-Epos.

 Tommaso und Cristina Buscetta feiern die Taufe ihres jüngsten Kindes.

Tommaso und Cristina Buscetta feiern die Taufe ihres jüngsten Kindes.

Foto: Pandora Film

Palermo, am 4. September 1980: Die Stadt ist der größte Heroin-Umschlagplatz der Welt. Es ist der Tag der Heiligen Rosalia. In einer Villa treffen sich die Bosse der beiden führenden Familien der Cosa Nostra. Man plant eine friedliche Koexistenz im Drogenhandel. Tommaso Buscetta ist der zweite Mann im Palermo-Clan. Dass sein Sohn sich an diesem Abend am Strand eine Heroin-Dosis injiziert, wertet er als Verstoß gegen die Etikette, nicht gegen das Drogengesetz.

Derweil stoßen im Haus die einstmals verfeindeten Familien auf die Freundschaft an – und aufs Geld. Buscetta misstraut dem Frieden, er setzt sich mit der Familie nach Rio de Janeiro ab und wird recht behalten. Binnen vier Monaten wird der Bandenkrieg in Palermo fast 200 Opfer fordern. Buscettas beide Söhne, die er seinem Freund Pippo Caló anvertraut hatte, sind ebenso unter den Opfern wie sein Bruder und sein Neffe. Er soll zurück nach Italien. Wird er auch, aber erst nach seiner Verhaftung in Rio und drei Jahren Gefängnis mit härtesten Verhören und mindestens einem Mordversuch erfolgt im Juli 1984 die Auslieferung an die Staatsanwaltschaft in Rom. Hier trifft er auf den Untersuchungsrichter Giovanni Falcone. Er kann Buscetta zur Mitarbeit überzeugen. Womit der Titel des Films erklärt wäre: Il Traditore – Der Verräter.

Mit dieser im letzten Jahr in Cannes vorgestellten Nacherzählung realer Begebnisse zwischen 1980 und 1996 holt Italiens nicht unumstrittener Regieveteran Marco Bellocchio („Teufel im Leib“) noch einmal zum ganz großen Wurf aus.

Rund um den charismatischen Hauptdarsteller Pierfrancesco Favino (hier mit viel Gel im Haar und feister Präsenz in gut geschnittenen Anzügen) entfaltet sich die Chronik des ersten großen Feldzugs gegen das organisierte Verbrechen, verankert an jenem Mann, der den Wertecodex der Clans überwand, weil er die brutale Gier des Drogengeschäfts nicht mehr mit seinem Ehrverständnis alter Gangsterschule vereinbaren mochte. Bellocchio inszeniert wenig Folklore; seine Inspiration fußt im nüchternen Erzählstil Damiano Damianis („Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“) aus den 80er Jahren und Stefano Sollimas „Suburra“ von 2016. Surreal überhöhte Tagträume und zeitgenössische TV-Bilder und Zeitungsschlagzeilen interpunktieren das Geschehen je nach dramatischem Bedarf.

Spektakulärer Höhepunkt ist das Attentat auf Richter Falcone, gefilmt aus der Sicht der Opfer im Todesauto. Danach wird der Film zur Justizposse, in der die Mafiakönige die Justiz mit kindischen Aktionen unermüdlich boykottieren. Buscetta bleibt der seriöse Einzelgänger, bis ganz am Schluss ein Paukenschlag ins Gedächtnis ruft – wir schenkten die ganze Zeit unsere Sympathien einem Gangster.

I/F/D 2019, 153 Min.; Filmhaus (Sb); Regie: Marco Bellocchio; Buch: Bellocchio u.a.; Kamera: Vladan Radovic; Musik: Nicola Piovani; Besetzung: Pierfrancesco Favino, Luigi Lo Cascio; Fausto Russo Alesi, Maria Fernanda Candido.

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