Französische Sozialkomödie Raue Realität – warmherziges Kino

✮✮✮✮ „Der Glanz der Unsichtbaren“ von Louis-Julien Petit: Über die Würde des Menschen.

 Nicht vom Glück verfolgt: Der Film zeigt starke Frauen, die engagiert gegen eine Wand aus Indifferenz ankämpfen.

Nicht vom Glück verfolgt: Der Film zeigt starke Frauen, die engagiert gegen eine Wand aus Indifferenz ankämpfen.

Foto: Piffl Medien

Metallspitzen säumen die Vorbauten der Geschäftsgebäude. Auf den Parkbänken verhindern Stangen, dass sich jemand hinlegen kann. Eine nordfranzösische Großstadt hat vorgesorgt, dass sich niemand Unerwünschtes dort niederlassen kann, wo sein Anblick unvermeidbar wäre. Obdachlose werden behandelt wie in vielen Kommunen: möglichst nicht hinsehen, aber im Zweifel wegschieben.

Zu den wenigen Anlaufstellen für Menschen ohne ein Dach über dem Kopf gehören Tageszentren wie das Frauen vorbehaltene „L‘Envol“. Wenn es morgens öffnet, haben sich vor dem Tor schon Schlangen gebildet. Im Inneren findet die Einteilung für die Duschen und Waschmaschinen statt; viele Frauen schlafen aber auch stundenlang, bevor sie am Abend wieder auf die Straße müssen.

In der Stadtverwaltung wird dies kritisch betrachtet: „Ihr verhätschelt sie zu sehr“, heißt es missbilligend, weil kaum eine der Obdachlosen den Sprung von zu einem Wohnheim-Platz schafft. Die Konsequenz: Schließung des Tageszentrums innerhalb von drei Monaten wegen „fehlender Effektivität“.

Der französische Regisseur Louis-Julien Petit nimmt sich in seinem Film „Der Glanz der Unsichtbaren“ zweier Sphären an, die von der Gesellschaft – und auch von Spielfilmen – wenig wahrgenommen werden. Den Schicksalen der obdachlosen Frauen stellt er die vier Sozialarbeiterinnen im „L‘Envol“ gegenüber, die auf einer gesellschaftlich höheren Ebene gleichfalls nicht vom Glück verfolgt sind. Petit konzentriert sich zunächst auf die Helferinnen, die gegen eine Wand aus Indifferenz ankämpfen. Je stärker er sich dann den Figuren der Obdachlosen zuwendnet, desto mehr wird der Film zu einer Sozialkomödie: ohne Schwarz-weiß-Verzerrungen der Klassen, aber entschlossen gegen Missstände agierend, optimistisch im Glauben an die Macht von Solidarität und kreativer Zusammenarbeit und festgemacht an Figuren, die Individuen sein dürfen, statt nur Typen zu verkörpern. Die wohnsitzlosen Frauen sind überwiegend mit Laiendarstellerinnen besetzt, die das Schicksal ihrer Charaktere teilen und die Gelegenheit erhalten, Schlagfertigkeit und unerwartetes Charisma zu zeigen.

Mit der Wahrhaftigkeit der Laien und den kongenial besetzten Schauspielerinnen in den Rollen der Sozialarbeiterinnen bleibt „Im Glanz der Unsichtbaren“ stets in der rauen Realität verankert. So behutsam und warmherzig ist im Kino kaum je etwas Substanzielleres zu dem viel strapazierten Begriff der Würde des Menschen gesagt worden.

Frankreich 2018, 102 Min., Camera Zwo (Sb); Regie und Buch: Louis-Julien Petit; Kamera: David Chambille; Musik: Laurent Perez del Mar; Besetzung: Audrey Lamy, Corinne Masiero, Noémie Lvovsky, Déborah Lukumuena.

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