Kinokritik Zwischen Handwerkskunst und Industrieprodukt

Neu im Kino: „Brot“ von Harald Friedl: Doku über das beliebte Grundnahrungsmittel.

 Knusprig gebackenes Brot frisch aus dem Ofen.

Knusprig gebackenes Brot frisch aus dem Ofen.

Foto: Real Fiction

Die Urmutter ist kein mystisches Wesen, sondern eine regionale Bezeichnung für die Starterkultur von Sauerteig. Die Familienmitglieder der Bio-Bäckerei Öfferl setzen eben vieles voraus – Backverständnis ebenso wie versierten Umgang mit österreichischem Dialektwesen. Man ahnt dann, weshalb Untertitel auch im deutschsprachigen Raum von Nutzen sein können. Der Rest des Films über das titelgebende Nahrungsmittel erschließt sich einfacher, weil einerseits bei englischen und französischen Wortbeiträgen tatsächlich deutsch untertitelt wird, und weil Regisseur Harald Friedl keinen Zweifel lässt, auf wessen Seite sein Herz schlägt.

„Teig ist etwas Fragiles, Lebendiges. Man muss respektvoll mit dem Rohmaterial umgehen“, weiß Christophe Vasseur von der Bio-Bäckerei De Pain et des Idees in Paris. Sein Brotteig ruht zwei Tage und wird dann eine Stunde lang gebacken. Industriell gefertigtes Brot ist in zwei Stunden gefertigt – vom Anrühren bis Ende des Backens. Biologie ist eben gut für den Geschmack und gut für die Gesundheit der Kinder. Da sieht man mal. Später wird Vasseur auch zugeben, dass seine hochwertigen Waren allerdings auch deutlich teurer sind als die Produkte für die Großbäckereien und Supermärkte.

Herr de Smedt vom belgischen Backmittelkonzern Puratos rangiert im Vergleich dazu ebenso am anderen Ende des Spektrums wie Hans-Joachim Holthausen von der Großbäckerei Harry-Brot. Beide Unternehmer setzen auf Technologie und Innovation, im Molekularbereich ebenso wie in der Fertigung. „Wir haben Ciabatta weltweit bekannt gemacht“, gibt der Belgier de Smedt stolz zum Besten. Industrie versucht eben immer das zu reproduzieren, was Handwerker herstellen. De Smedt kann tatsächlich auch selber backen, weiß also Bescheid, wenn von Enzymmischungen die Rede ist und ihrem Einfluss auf Haltbarkeit, Größe oder Schneidbarkeit von Brot.

Nach einer guten halben Stunde sind alle Claims der Sympathievergabe abgesteckt. Vor den Türen der französischen Edel-Bäckereien stehen die Leute Schlange, aber nur solche, die sich Brot für 26 Euro auch leisten wollen. Harald Friedl lässt auch Bauern und eine Professorin für Umwelttoxikologie zu Wort kommen, die sich noch später engagiert mit einem Abgeordneten des EU-Parlaments austauscht, der – wenig überraschend – der Fraktion Grüne/EFA angehört.

Wo man bei Harry-Brot nur die Kaufentscheidungen der Endverbraucher im Blick behält, bestaunt in der Pariser Patisserie Poulane die Tochter des Hauses alte Stiche, auf denen man sehen kann: „Die Leute haben früher sehr viel Brot gegessen“.

Österreich/Deutschland 2019, 94 Min., Filmhaus (Sb); Regie und Buch: Harald Friedl; Kamera: Helmut Wimmer; Musik: Gerald
Schuller.

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