Kino-Kritik Wie Türen in die Vergangenheit
✮✮✮✮ „Der Flohmarkt von Madame Claire“ von Julie Bertuccelli mit Catherine Deneuve.
Der ganze Hof steht voll: alte Schränke, Kommoden, Betten, Ess- und Schreibtische, Familienporträts, Kisten mit Fotoalben und eine Sammlung von alten Puppen, mechanischen Spielfiguren und Automaten. Claire Darling (Catherine Deneuve) will das alles los werden. Die Demenz ergreift zunehmend Besitz von der alten Dame, die alleine in einem herrschaftlichen Haus am Rande des Dorfes lebt. Und was nützen all die Dinge, wenn man mit ihnen keine Erinnerungen mehr verknüpfen kann?
Zudem ist Claire davon überzeugt, dass sie innerhalb der nächsten 24 Stunden sterben wird, so wie sie es in der letzten Nacht geträumt hat. Und so verscherbelt sie Hausrat und wertvolle Antiquitäten für einen Apfel und ein Ei. Das spricht sich schnell herum und schon bald bevölkern die gierigen Schnäppchenjäger aus der ganzen Umgebung das Anwesen. Martine (Laure Calamy), die als Kind im Haus der Darlings ein und aus gegangen ist, kann nicht mit ansehen, wie Claire ihren Besitz verhökert und alarmiert deren Tochter Marie (Chiara Mastroianni), die aus Paris anreist. Mutter und Tochter hatten viele Jahre keinen Kontakt. Nicht ohne Kalkül ist es Claire gelungen, Marie mit ihrem Flohmarkt zurück ins elterliche Haus zu locken. Schließlich geht es ihr im Angesicht des Todes nicht nur darum materiellen, sondern auch seelischen Ballast abzuwerfen.
„Der Flohmarkt der Madame Claire“ beginnt scheinbar als leichte Komödie über eine eigensinnige alte Dame umgeben von der sommerlichen Idylle der französischen Provinz. Aber Regisseurin Julie Bertuccelli taucht mit dem Flohmarkt der verblassenden Erinnerung immer tiefer in ein Familiendrama ein. Dabei werden die Antiquitäten im Hof zu Türen in die Vergangenheit, die in einer geschmeidigen Rückblendendramaturgie entschlüsselt wird. Damit passt sich der Film der dementen Wahrnehmung der Hauptfigur an.
Catherine Deneuve verleiht der alten Dame, der ihr Leben zwischen den Fingern zu zerrinnen scheint, eine glaubwürdige Präsenz und Würde. Ohne falsches Mitleid spielt sie diese Frau, die in ihren hellen Momenten ebenso sarkastisch wie klarsichtig agiert und dann wieder von ihren eigenen Schuldgefühlen erdrückt zu werden droht. Dass im Selbstreinigungsprozess nicht jedes Töpfchen sein Deckelchen bekommt, ist eine Stärke des Films, der sich nicht in eine harmonisierende Katharsis versteigt, sondern sich zur unvollständigen Aussöhnung bekennt.
Frankreich 2018, 94 Min., Camera Zwo (Sb); Regie: Julie Bertuccelli; Buch: Bertuccelli u.a.; Kamera: Irina Lubtchansky; Besetzung: Catherine Deneuve, Chiara Mastroianni, Alice Taglioni, Laure Calamy.