Neu im Kino Das fantastische Glück des Daseins

✮✮✮✮ Neu im Kino: „Über die Unendlichkeit“ von Roy Andersson: Originell und lakonisch.

 Geschichte und Unendlichkeit: Roy Andersson zwingt sie immer wieder im selben Bild zusammen.

Geschichte und Unendlichkeit: Roy Andersson zwingt sie immer wieder im selben Bild zusammen.

Foto: Neue Visionen Filmverleih

„Ich habe meinen Glauben verloren, was soll ich nur tun?“ fragt der Priester immer wieder. „Tut mir leid, ich muss meinen Bus kriegen.“ antwortet der Hausarzt, der schon Feierabend gemacht hat.

Die existenziellen Nöte des Lebens und die Profanität des Alltäglichen liegen im Werk von Roy Andersson immer dicht beieinander. Mit Filmen wie „Songs from the Second Floor“ und „Das jüngste Gewitter“ hat sich der schwedische Filmemacher als eine der originellsten Stimmen des europäischen Autorenkinos etabliert. Andersson ist ein Regisseur der vollkommenen Kontrolle, der als Künstler nur genau das tut, was er tun will und im eigenen Studio seine genau durchkomponierten Sets aufbaut.

Auch sein neuer Film „Über die Unendlichkeit“ wirkt zunächst wie eine sorgfältig kuratierte Fotoausstellung. Jedes Bild wird von einer unbewegten Kamera in der Totalen aufgenommen und es dauert immer ein wenig, bis sich darin etwas zu bewegen beginnt. „Über die Unendlichkeit“ besteht aus etwa zwei Dutzend szenischen Miniaturen, die scheinbar zusammenhanglos aneinander gereiht werden: Ein Kellner gießt dem Gast Rotwein ein und hört nicht auf, als das Glas überläuft. Hitler realisiert im Führerbunker, dass sein Krieg endgültig verloren ist. Ein Mann wird von Soldaten an einen Pfahl gebunden und fleht um sein Leben. Ein Vater bindet seiner Tochter im strömenden Regen die Schuhe zu.

Lebensgeschichten, historische Ereignisse, alltägliche Trivialitäten, dramatisches Geschehen werden in diesen minimalistischen Vignetten maximal verdichtet. Daraus entsteht ein geschärfter Blick für die statisch aufgenommenen Szenen, aber auch ein assoziativer Erzählfluss, in dem das Banale und das Existenzielle Hand in Hand mäandern. Bitter, melancholisch, liebevoll, ironisch, zärtlich, nüchtern – Anderssons Blick auf die Menschheit ist von der Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Haltungen geprägt.

Sein Credo legt er einem Gast am Tresen einer Bar in den Mund. „Ist es nicht fantastisch?“ ruft er in die Menge der schweigend Trinkenden hinein. Nach einer angemessenen Pause überwindet sich der Nebenmann zu einem hingeworfenen „Was?“. Sein Gegenüber wedelt mit den Armen und sagt mit glühendem Blick nur: „Alles“. Lakonischer kann man das Glück des Daseins wohl kaum beschreiben.

Schweden/D/Norwegen 2019, 78 Min., Camera Zwo (Sb); Regie und Buch: Roy Andersson; Kamera: Gergely Palos; Besetzung: Martin Serner, Jessica Louthander, Tatiana Delaunay, Anders Hellström, Jan Eje Ferling.

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