Neu im Kino Stark wie eine Löwin, leicht wie ein Schmetterling

Neu im Kino: „Gipsy Queen“ von Hüseyin Tabak: Ein kraftvolles und schlüssiges Frauenporträt ohne Pathos.

 Sie kann einstecken, aber auch austeilen: Alina Serban überzeugt als Ali.

Sie kann einstecken, aber auch austeilen: Alina Serban überzeugt als Ali.

Foto: Majestic Film/Lukas Gnaiger

„Du schwebst wie ein Schmetterling und stichst wie eine Biene“ hat der Vater zu Ali (Alina Șerban) immer gesagt. Der Boxtrainer baute die Tochter von klein auf als Kämpferin auf. Denn nur im Ring seien sie frei. Frei von den Regeln der Weißen, in deren Welt sie als Roma allenfalls geduldet werden.

Ali war der Stolz des Vaters, bis dessen eigener Stolz alles zerstörte und er die Tochter mit dem zweiten unehelichen Kind verstieß. Das ist jetzt knapp zehn Jahre her. Heute wohnt Ali mit ihren beiden Kindern in Hamburg und schlägt sich als Niedriglohnarbeiterin durch. Eine stolze Kämpferin ist sie geblieben.

Aber die Gegner stehen nicht in einen fairen Kampf vor ihr im Ring, sondern bestimmen aus der Deckung ihrer Privilegien die Regeln jeden Tag neu. So wie Leiterin der Putzkolonne, die einen Teil von Alis Lohn in die eigene Tasche steckt. Als Ali einen Aushilfsjob in der legendären Kiezkneipe „Die Ritze“ bekommt, scheint sich ihr Schicksal zu wenden. Der Betreiber Tanne (Tobias Moretti) ist ein abgewrackter Profiboxer, der im Keller seines Etablissements in St.Pauli Schaukämpfe veranstaltet und schon bald das Boxtalent seiner Putzkraft erkennt.

Mit „Gipsy Queen“ zeichnet Regisseur Hüseyin Tabak das ebenso sensible wie kraftvolle Porträt einer Frau, die sich im Ring wie im Leben nicht unterkriegen lässt. Dabei benutzt er die Metaphorik des klassischen Boxerfilms, in dem mit dem Kampf im Ring immer auch ein Prozess der Selbstfindung ist.

Absolut schlüssig überträgt Tabak das Genremuster auf die Lebenssituation einer alleinerziehenden Mutter, die sich als Roma in Deutschland ein neues Leben aufzubauen versucht. Mit Alina Serban hat er hierfür die ideale Hauptdarstellerin gefunden, die nicht nur in den Boxkämpfen durch ihre absolut fokussierte Performance überzeugt. Ganz ohne Pathos zeichnet sie eine Frauenfigur, die einstecken und austeilen kann und wie eine Löwin für sich und ihre Kinder kämpft. Ihr gegenüber begibt sich Tobias Moretti mit Feingespür in die Rolle des abgewirtschafteten Kiezveteranen, der gerne den großen Macker markiert, aber von der ersten Begegnung mit Alis aufgeweckten Kindern vollkommen überfordert ist.

Schön dass die Beziehung der beiden nicht zwanghaft in romantische Klischees gesteuert wird. Genauso gelingt es Tabak in der Zielgerade den Konventionen des Boxerfilms zu trotzen, der seine Helden ja gerne über Niederlagen in einem harten finalen Kampf zum Triumph führt. Stattdessen wartet „Gipy Queen“ mitten im Ring mit einer offenen, poetischen Schlusswendung auf, die den Film samt seiner Heldin leicht wie einen Schmetterling davon flattern lässt.

Österreich/Deutschland 2019, 113 Min., Camera Zwo (Sb); Regie und Buch: Hüseyin Tabak; Kamera: Lukas Gnaiger; Musik: Judit Varga; Besetzung: Alina Serban, Tobias Moretti, Irina Kurbanova, Catrin Striebeck.

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