Ausflug in Maggie Thatchers England Zwischen Sozialreport und Musical

✮✮✮✮ „Blinded by the Light“ von Gurinder Chadha: Sympathisches Märchen aus der Provinz.

 Javed (Viveik Kalra) nutzt einen Schreibkurs und die Musik von Bruce Springsteen, um dem Alltag zu entfliehen.

Javed (Viveik Kalra) nutzt einen Schreibkurs und die Musik von Bruce Springsteen, um dem Alltag zu entfliehen.

Foto: Warner Bros.

Maggie Thatchers England zur Mitte der 1980er Jahre ist kein freundlicher Ort, wenn man der Sohn pakistanischer Einwanderer ist. Javed ist 17 und wäre gern Schriftsteller, aber sein Vater sieht ihn als werdenden Arbeiter, weil das bei den Männern in der Familie schon immer so war. Und irgendwo muss das Geld ja schließlich herkommen, wenn Papa gerade den Job verloren hat, während die Frauen mit Wasch- und Bügelarbeiten das Nötigste zusammenschuften. Javed fügt sich mehr schlecht als recht ins etablierte System, aber im Schreibkurs, zu dem er sich heimlich eingetragen hat, lernt er die bislang wenig beachtete Mitschülerin Eliza näher kennen, und die zeigt sich von seinen Gedichten ebenso aufrichtig begeistert wie die Kursleiterin Mrs. Clay. Noch wichtiger für Javed ist es jedoch, als ihm sein Kumpel Roops zwei Alben von Bruce Springsteen auf Kassette für den Walkman mitgibt. Die rauen Sounds und empfindsamen Songtexte von „Darkness on the Edge of Town“ und „Born in the USA“ öffnen Javeds Blick auf sich selbst und die Welt beträchtlich. Was aber auch bitter nötig ist, wenn man tagtäglich den dumpfen Rassismus der abgehängten Wohlstandsverlierer zu spüren bekommt.

Und damit kommt ein robuster Frischluftstrom in dieses auch sonst sympathische Märchen aus der englischen Provinz geweht, dem ein autobiografischer Tatsachenbericht des Publizisten Sarfraz Mansoor zugrunde liegt. Der Film spielt im Jahre 1987, als Haargel (Studio-Line) auf beiden Seiten des Geschlechterspektrums sehr beliebt war und die Pet Shop Boys langsam, aber sicher die Vorherrschaft in den britischen Charts antraten. Bruce Springsteen hatte es sich wieder in den lärmigen Riffmustern des amerikanischen Stadionrocks gemütlich gemacht und intonierte düstere Räuberpistolen um einsame Wölfe, die sich die Wunden lecken. Die früheren LPs des Rockpoeten aus New Jersey (tatsächlich sind seine ersten zwei die besten) aber reichten manchem Teenager eine rettende Hand aus der Tristesse des Alltags, und genau zu dieser Befindlichkeit beweist Regisseurin Gurinder Chadha („Kick it like Beckham“) einmal mehr authentisches Gespür für Teenängste und die Gegenmittel dazu. Im Wechselspiel aus Sozialreport, enthusiastischem Aufbruch und einer bisweilen glänzend besetzten Musical-Euphorie (Rob Brydon als Klamottenhändler im Rock-Look der 70er Jahre) ergibt sich daraus eine stimmige heiter-besinnliche Balance mit Gute-Laune-Garantie.

GB 2019, 189 Min., Camera Zwo (Sb); Regie und Buch: Gurinder Chadha; Kamera: Ben Smithard; Musik: A.R. Rahman; Besetzung: Viveik Kalra, Kulvinder Ghir, Meera Ganatra, Aaron Phagura.

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