Millionen für die Saar-Uni So funktioniert der Motor des Lebens

Saarbrücken · Wissenschaftler der Saar-Uni untersuchen im Sonderforschungsbereich der Biophysik Funktionen unserer Körperzellen.

 Dieses Foto aus den Labors des Sonderforschungsbereichs der Biophysik an der Saar-Uni zeigt in starker Vergrößerung eine eingefärbte Krebszelle. Die leuchtenden Stellen sind  Kontaktpunkte, mit denen sich die Zelle mit einer anderen verbinden und Zug ausgeüben kann.

Dieses Foto aus den Labors des Sonderforschungsbereichs der Biophysik an der Saar-Uni zeigt in starker Vergrößerung eine eingefärbte Krebszelle. Die leuchtenden Stellen sind  Kontaktpunkte, mit denen sich die Zelle mit einer anderen verbinden und Zug ausgeüben kann.

Foto: Universität des Saarlandes

Am Beginn des Lebens steht eine Zelle. Eine einzige. Doch wie wird aus einer einzigen befruchteten Eizelle ein kompletter Mensch, dessen Organismus 100 Billionen Zellen – eine Zahl mit 14 Nullen – umfasst? Und wie gelingt es den Zellen unseres Körpers, unbelebte Moleküle in lebendige Strukturen zu verwandeln? Das ermöglichen hochkomplexe biologische Prozesse der Selbstorganisation. Denn genetisch gesteuert sind in unserem Körper nur die Zellen selbst, es gibt keine zentralen Baupläne für Organe oder eine Koordination für ihr Zusammenspiel. Die „Konstruktion“ eines Menschen lösen nach der Befruchtung einer Eizelle biochemische Signale und mechanische Wechselwirkungen zwischen sich teilenden Zellen aus – „das beginnt direkt beim Start der embryonalen Entwicklung“, erklärt Professor Heiko Rieger von der Saar-Uni. Diese Prozesse untersuchen Wissenschaftler des Sonderforschungsbereichs (SFB 1027) der Saar-Uni mit dem sperrigen Namen „Physikalische Modellierung von Nichtgleichgewichts-Prozessen in biologischen Systemen”. Heiko Rieger ist sein Sprecher.

Die Uni bekommt für diesen SFB der Zellphysik in den kommenden vier Jahren nun zusätzliche 13 Millionen Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (wir haben berichtet). Es ist bereits die zweite Verlängerung des Forschungsschwerpunkts. Bis zum Jahr 2024 kann die Hochschule damit mit einer Gesamtförderung von 34 Millionen Euro für das Projekt rechnen, das, um im Bild zu bleiben, Zellkern eines neuen Forschungsgebäudes auf dem Saarbrücker Campus sein wird. Das Zentrum für Biophysik, das bis 2024 stehen soll, steht seinerseits für ein noch ehrgeizigeres Vorhaben der Uni: den Ausbau des NanoBioMed-Schwerpunkts. Mit ihm will die Hochschule bei der nächsten Runde der Exzellenzinitiative, dem Wissenschaftswettbewerb der deutschen Universitäten, in die Spitzenklasse aufsteigen.

Großes beginnt bekanntlich immer im Kleinen – deshalb zurück zur Zelle. Nach welchen physikalischen Prinzipien funktioniert der biochemische Motor des Lebens? Das ist eine Schlüsselfrage der Forschung im SFB mit der Nummer 1027. Und da sei erst einmal festzuhalten, erklärt Heiko Rieger, dass diese Frage keineswegs im übertragenen Sinne zu verstehen sei. Vieles in unseren Körperzellen laufe tatsächlich ab wie in einem Motor. Da werde gedrückt, geschoben und gezogen.

Zellen, so Heiko Rieger, können auf ein ganzes Arsenal molekularer Maschinen zurückgreifen, die Proteine zwischen dem Kern, den Energieerzeugern, den Proteinfabriken und der Zellwand transportieren. Die Kräfte, die diese molekularen Maschinen ausüben, sind unvorstellbar klein, umgerechnet entsprechen sie einem Hundertmillionstel der Kraft, die eine auf einem Tisch liegende Briefmarke ausübt. Proteinmoleküle, die diese Molekularmotoren entlang faserförmiger Strukturen, den sogenannten Filamenten, durch die Zelle bugsieren, wiegen allerdings auch fast nichts. Ihr Gewicht wird in trilliardstel Gramm ausgedrückt – eine Zahl mit 21 Nachkommastellen – und der einzige Widerstand, den es in der Zelle zu überwinden gilt, geht von der marmeladenzähen Zellflüssigkeit aus. Die Entfernungen sind mit tausendstel Millimetern winzig.

In einer durchschnittlichen Zelle herrscht ständig Hochbetrieb, erläutert Heiko Rieger. Zigtausende Molekulartransporter sind mit dem Frachttransport beschäftigt. Woher kennen sie die richtige Bewegungsrichtung? Wie vermeiden sie Kollisionen? Es muss dafür „Verkehrsregeln“ geben. Denn wenn die wohlgeordneten Abläufe in der Zelle aus dem Gleichgewicht geraten, dann entstehen Krankheiten. Das führt zu neuen Fragen für die Forschung. Die Wissenschaftler des SFB wollen darauf in den nächsten vier Jahren Antworten geben.

Nachdem sich die rund 100 Forscher, die heute im SFB mitarbeiten, zu Beginn auf Prozesse im Zellinneren konzentriert hatten, schauen sie jetzt zunehmend auf die Zellmembranen. Das ist ein Thema, das in Corona-Zeiten besonderen Stellenwert erlangt hat. Der Zellinhalt ist durch die Hülle von der Außenwelt abgegrenzt. Vollständig dicht darf diese Membran aber nicht sein, denn die Zelle kommuniziert durch sie zum Beispiel mit den Nachbarzellen. Die Zellwand besitzt aus diesem Grund ein System aus Schleusen und Rezeptoren, durch die zum Beispiel Botenstoffe ins Innere gelangen können und Produkte des Stoffwechsels nach außen gepumpt werden. Das nutzen nun aber auch Viren, um ihr genetisches Material in eine Wirtszelle zu injizieren. Dazu docken sie zunächst an die äußere Membranhülle der Wirtszelle an, wie es das Corona-Virus mit dem berüchtigten Spike-Protein tut, und verschmelzen dann ihre Hülle mit jener der Wirtszelle mit Hilfe eines Fusionsapparates, einer weiteren molekularen Maschine.

Ein solcher Virusangriff funktioniert nur über ganz spezielle Rezeptoren. Weil eine einzige 20 Mikrometer (tausendstel Millimeter) große Zelle eine fünf- bis sechsstellige Zahl unterschiedlichster Rezeptoren besitzt, erhebt sich die Frage: Wie finden Viren den passenden Rezeptor? Und wie brechen sie anschließend die Zellwand auf? Die Forscher des SFB 1027 suchen Antworten auch auf diese Fragen. Insgesamt 23 solcher Themen aus der Biophysik bearbeiten die Wissenschaftler des Saarbrücker Sonderforschungsbereichs, erklärt Heiko Rieger. Junge Forscher, unter ihnen viele Frauen, hätten am exzellenten Gesamtergebnis der DFG-Begutachtung einen besonders großen Anteil, erklärt der Sprecher des SFB 1027. Für mehr als die Hälfte der 23 Teilprojekte habe das DFG-Gutachtergremium Bestnoten vergeben. Aber auch die Bandbreite der bearbeiteten Themen sei kräftig gestiegen. „Beim Start im Jahr 2013 musste ich noch über den Campus tingeln und Kollegen fragen, ob sie bei uns mitmachen möchten. Heute können wir auswählen, welche Forscher wir an unserer Arbeit beteiligen möchten.“

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