Zurück zur alten Leichtigkeit

Nizza · Nizza, die elegante Stadt mit französischem Charme und italienischem Herz, findet nach dem Attenat vom 14. Juli nur langsam den Weg zurück in die blaue Unbeschwertheit. Was die Touristen schätzen, ist unversehrt geblieben: die guten Traditionen in Küche und Keller.

 Die weite Bucht von Nizza bewog vor 150 Jahren die englischen Touristen, hier ihr Winterquartier aufzuschlagen.Foto: Maack

Die weite Bucht von Nizza bewog vor 150 Jahren die englischen Touristen, hier ihr Winterquartier aufzuschlagen.Foto: Maack

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Im Café Auer herrscht mal wieder Aufregung im Spätherbst des Jahres 1896. Queen Victoria hat sich zum Tee angekündigt. Henri Auer führt zwar die besten kandierten Früchte von ganz Nizza , aber die Qualität ist nicht das Problem, sondern der Platz. Die Queen hat eine imposante Statur und trägt rauschende Reifröcke. Da bleibt kein Platz mehr in dem kleinen Café, Tische und Stühle müssen umgestellt werden. Doch was tut man nicht alles für die adligen Engländer. Erst 1859 wurde das italienisch geprägte Nizza endgültig Frankreich zugeschlagen, 1864 folgte die Eisenbahnlinie, und damit war der Weg offen für die wohlhabende Gesellschaft aus dem kalten Norden, die in Nizza die Wintermonate verbrachte und damit dem verschlafenen Städtchen zu einem ungeahnten Aufstieg verhalf. Wenn auf der britischen Insel der kalte Novembernebel in die Landschlösser kroch, sonnten sich die wohlhabenden Besitzer zwischen Palmen und Mimosen. Queen Victoria verbrachte seit 1895 regelmäßig den Winter in Nizza , ebenso der russische Zar und der belgische König. Nicht nur die Konditorei Auer, die immer noch kandierte Früchte verkauft und eine Schokoladentheke in dem ehemaligen Café eingerichtet hat, auch der Weinhändler Bianchi ergriff seine Chance und gründete 1860 sein Geschäft. Die Auftragsbücher von Bianchi erzählen wunderbare Geschichten, der Zar trank beispielsweise nur Champagner von Bollinger, die Queen orderte Taittinger.

Kaum tauchten die ersten Automobile an der Cote d'Azur auf, ließ Weinhändler Bianchi einen livrierten Diener im Mercedes den Berg des Villenviertels Cimiez hinauftuckern, um die Flaschen auszuliefern. Cave Bianchi ist, ebenso wie die Confiserie Auer, heute ein legendärer Ort.

Goldgelbes Wahrzeichen

Für die meisten Einheimischen blieben die Köstlichkeiten der reichen Wintergäste allerdings unerreichbar. Als César Martin 1868 in einem aus Gestrüpp bestehenden Vorort von Nizza eine heruntergekommene Ölmühle kaufte, hatte er nicht im Sinn, Öl für die Reichen zu pressen, sondern war froh, die ohnehin nicht so reichhaltigen Erträge der einheimischen Olivenart, Cailletier genannt, an die Fischer und Kleinhändler zu verkaufen. Sein Schwiegersohn, Nicolas Alziari, strebte gegen Ende des 19. Jahrunderts bald nach Höherem. Er entwickelte neue Techniken des Pressens, ließ ein buntes und auffälliges Firmen-Emblem entwerfen und reiste durch halb Europa, um das goldgelbe Öl aus dem Hinterland von Nizza anzubieten. Der Erfolg stellte sich ein, und heute fehlt die unverwechselbare Alziari-Dose auf keinem guten Restaurant-Tisch in Nizza .

Auch im Traditions-Lokal Acchiardo gehört das Öl in den bunten Metallbehältern dazu. Als Familie Acchiardo 1927 in der Rue Droite in der Altstadt ein Restaurant eröffnete, wollte sie ganz bestimmt nicht die mondäne Welt beköstigen, denn die verirrte sich ohnehin nicht in den dunklen Altstadt-Gassen.

Die reichen Wintergäste hatten kaum Berührung mit den Einheimischen und wollten dies auch nicht. Das Essen bei Acchiardo war auf die einfache Bevölkerung zugeschnitten: täglich Fisch, Nudeln mit Basilikumsoße und zartes Rindergulasch, Daube genannt. Es sollte frisch sein, unkompliziert - und wenig kosten. Heute wird das Restaurant in dritter Generation geführt, und nichts hat sich an diesen Grundsätzen geändert. Noch immer balancieren die drei Acchiardo-Geschwister Jean-François, Raphaël und Virginie die voll beladenen Teller durch die schmale Gaststube, rufen sich zu und versprühen gute Laune.

Als am 14. Juli 2016 der Terror die fröhliche Stadt am blauen Meer erschütterte, hatten die Acchiardos die ganze Nacht ihre Türen geöffnet und boten den verstörten Menschen Rotwein, Brot und Oliven an. Das hat ihnen bis heute niemand vergessen.

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Auf einen Blick Nizza wird von fast allen größeren deutschen Flughäfen und von Luxemburg mehrmals am Tag angeflogen. Mit dem "French Riviera Pass" genießen Besucher freie Eintritte oder Vergünstigungen in vielen Museen. red de.france.fr

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