Wo Robinson in die Pedale tritt
Malé · Lange Zeit gab es auf den Malediven zwei Arten von Inseln: Die mit und die ohne Touristen. Der neue Präsident hat diese Trennung aufgehoben. Zu entdecken gibt es auf dem Addu-Atoll im Süden der Republik nicht nur die einheimische Kultur, sondern auch die längste Asphaltstraße des Inselstaats.
Sie sind wieder da, haben ihre Fahrräder an die Hauswand gelehnt, hocken unter dem alten Mango-Baum gegenüber den Fischerbooten, haben die letzten Regentropfen von dem Holztisch gewischt, ihr Schachbrett ausgebreitet, die Figuren aufgebaut: wie gestern Morgen. Und wie am nächsten Tag. Ein Tropensturm wie jener der vergangenen Nacht bringt die Männer aus Feydhoo und Maradhoo nicht aus der Ruhe. Dass es mal blitzt und donnert wie die Ouvertüre zum Weltuntergang, das sind sie gewohnt. Und daher auch so entspannt wie immer zu ihrem Schachtisch in Sichtweite des türkis schillernden Ozeans geradelt, haben manche Pfütze umzirkelt und nun in Teams aus mehreren Spielern nur noch das Schicksal von König und Dame im Blick, während sie mit Strohhalmen jeder eine aufgeschlagene Kokosnuss leer schlürfen. Alltag im Addu-Atoll knapp unterhalb des Äquators.
Manchmal kommen ein paar Neugierige zu Besuch, die ebenfalls mit Rädern unterwegs sind, plaudern mit Händen, Füßen und ein paar Brocken Englisch: Es sind Fahrrad-Urlauber - Leute, die hier neuerdings die Malediven per Drahtesel erkunden. Sie möchten herumkommen im Paradies, wollen schauen, wie die Menschen leben - und fliegen dafür nach Addu ganz unten im Inselstaat.
Über fünf mit Dämmen und Brücken verbundene Eilande spannt sich dort die mit 17 Kilometern längste Asphaltstraße der Malediven. Zweispurig ist sie, einen akkurat weltstädtischen Mittelstreifen hat sie. Rechts schillert der Ozean in Türkis, links sind es die Kokospalmen in Dunkelgrün, in die hinein sich Dörfer und Gärten ducken. Ein paar hundert Meter sind die Querwege lang, allesamt aus Sand, die von der Hauptstraße ins Grün hinein und weiter bis zur gegenüberliegenden Küste der langgezogenen Inseln abzweigen.
Sie führen an bunt gestrichenen Häusern vorbei, an kniehoch ummauerten Gärtchen voller Bananenstauden, an Hängematten und Holzstühlchen. Und an lächelnden Menschen, an neugierigen Kindern, die aufgeregt winken. Es sind noch nicht viele Fremde, die nach Addu kommen. Erst Reform-Präsident Mohamed Nasheed, der sich nur drei Jahre im Amt hielt, hat die zuvor praktizierte Trennung zwischen reinen Hotel- und für Fremde fast durchweg verbotene Einheimischen-Inseln aufgehoben.
Fremde Kultur
Sein Vorgänger Gayoom wollte keine wirkliche Berührung der Kulturen. Nasheed sah das anders: Alle können voneinander lernen und sich gegenseitig helfen. Die Einheimischen können zudem an den Fremden verdienen, können kleine Cafés eröffnen und Souvenirs verkaufen - und die Touristen maledivischen Alltag erleben, Fischern, Handwerkern und Bauern bei der Arbeit zusehen.
Addu galt dabei lange als das vergessene Atoll über 70 Flugminuten südlich der Hauptstadt Malé , um die herum sich in den gut erschlossenen nördlichen Atollen die meisten Hotel-Inseln gruppieren. Erst die Eröffnung eines ersten Luxushotels schafft plötzlich neue Perspektiven. Von der Resort-Insel Villingili sind es acht Speedboat-Minuten bis zu den Schachspielern und den dort bereitstehenden Leih-Fahrrädern. Orange getüncht ist die Tankstelle für die wenigen Autos hier, die etwas häufigeren Mopeds und Roller. Eine Fahrradpumpe hat der Tankwart dort ebenfalls bereitliegen - falls mal jemandem die Luft ausgehen sollte. So leicht es sich auf dem fast schnurgeraden Asphalt mit Linksverkehr in die Pedale treten lässt, so sehr knirscht der Korallensand der Nebenstraßen unter den Profilreifen. Und manchmal muss man sich ducken, wenn die Arme kleiner Kokospalmen in den Weg ragen oder Bananenblätter einen Klaps an die Stirn zu geben drohen.
Am schönsten ist es dort, wo so etwas geschehen kann: abseits der Piste, mitten in den kleinen Straßen. Um die Mittagszeit riecht es nach Reis, nach Fisch-Curry aus dem Steinhaus. Ein Hund eilt über den Weg, und Kinder rennen hinter einem Fußball her - wie ihre Vorbilder aus der maledivische Nationalmannschaft, die hier auch schon zu Gast waren.
Zum Thema:
Auf einen BlickAnreise: Flug zum Beispiel mit Emirates über Dubai, mit Oman Air via Muscat oder ohne Zwischenstopp mit Condor auf die Hauptinsel Male. Anschlussflug mit Maldivian von Male nach Gan (70 Minuten). hso visitmaldives.com