Wie die Gäste des Herzogs

Nancy · Im Zentrum der französischen Stadt Nancy befindet sich einer der schönsten Freiluftplätze Europas: der Place Stanislas. Er gehört zum Unesco-Weltkulturerbe und entfaltet vor allem an warmen Sommerabenden seinen Charme.

 Besonders erhaben wirkt der Place Stanislas mit seinen barocken Laternen in der Abenddämmerung. Foto: Ville de Nancy

Besonders erhaben wirkt der Place Stanislas mit seinen barocken Laternen in der Abenddämmerung. Foto: Ville de Nancy

Foto: Ville de Nancy

Für einen armen Vater kann man nichts, wohl aber für einen armen Schwiegervater. Einen armen Vater hatte Louis XV, König von Frankreich, wahrlich nicht. Einen armen Schwiegervater schon. Denn Stanislas Leszczynski, vom Thron gejagter polnischer König, hatte außer seinem königlichem Blut nur seine heiratsfähige Tochter Maria anzubieten, die Louis XV 1725 zum Traualtar führte. Stanislas gelang es nicht, die polnische Königskrone zurückzuerobern und blieb ein Versorgungsfall. Wenn auch einer, der dem Schwiegersohn nicht ungelegen kam, denn Stanislas wurde zum Herzog von Lothringen ernannt. Lothringen gehörte bis 1766 noch nicht zur französischen Krone, sondern war ein eigenständiges Herzogtum, das aber nach Stanislas' Tod an Frankreich fallen sollte.

Und damit hatten der französische König und sein polnischer Schwiegervater eine einvernehmliche Basis gefunden: Louis zahlte und Stanislas verlor nicht sein Gesicht. Und Louis zahlte gut: jährlich über zwei Millionen Livres. Damit konnte sich Stanislas bestens einrichten, er erbaute nicht nur das prachtvolle Schloss von Lunéville, er nahm sich auch vor, das im Mittelalter steckengebliebene Festungsstädtchen Nancy zu modernisieren. Die alten Befestigungen abzureißen war zu mühsam, und so baute der Architekt Emmanuel Héré zwischen 1752 und 1755 eine neue Stadt in die angrenzenden Sumpfwiesen des Flusses Meurthe - mit einem 13 000 Quadratmeter großen Platz als Kernstück, von dem breite Straßen abgingen, an deren Ende Triumphbögen stehen sollten. In nur drei Jahren entstand das Idealbild einer Stadt des 18. Jahrhunderts. Die beiden Ecken, die den Platz von der Altstadt abgrenzten, verzierte der Hofschmied Jean Lamour mit kunstvoll vergoldeten Gittern und imposanten Brunnenanlagen, die er mit schnaubenden Rössern, Nymphen und Meeresgottheiten ausstattete.

Heute gehört das Ensemble des armen Schwiegervaters zum Unesco-Weltkulturerbe und heißt sogar nach ihm: Place Stanislas, "Stan" abgekürzt. Was historisch nicht korrekt ist, denn natürlich benannte Stanislas den Platz nach seinem Gönner, dem König von Frankreich.

Aber was macht das schon, wenn an warmen Sommerabenden auf dem Platz die Tische und Stühle der Cafés draußen stehen und man sich fühlt wie Gäste des Herzogs. Trotz der vielen Menschen ist es auf dem Platz eigentümlich still, höchstens ein paar Jazz-Akkorde klingen leise herüber. Hier ist kein lauter Studenten-, Hundegassi- oder gar Skater-Treffpunkt.

Nein, Place Stanislas wirkt erhaben und magisch, besonders im gelben Schein seiner barocken Laternen, festgefroren im 18. Jahrhundert wie ein Watteau-Gemälde. Selbst die Brunnen in den Ecken scheinen abends aus purem Gold zu sein, das Wasser, das sich aus den Muscheln in die Marmorbecken ergießt, leuchtet wie ein Silberstrom. Passanten gehen vorbei und verwandeln sich unversehens in Figuren aus einem galanten Theaterstück, sie sind hier Dekoration auf einer barocken Bühne. Die Hauptrolle spielen noch immer Stanislas und sein Architekt. So viel Anmut, über die Jahrhunderte bewahrt - das hätte ihnen gefallen.

In der mittelalterlichen Altstadt, die der Barock-Herzog verschmähte, tobt heutzutage das Leben, hier gibt's Pizza, Bier und Quiche Lorraine, junge Leute führen ihre laut rummelnden Motorräder vor. Hier ist Nancy eine Provinzstadt. Der "Place Stan" liegt gleich nebenan - und ist doch Lichtjahre von der Provinz entfernt. Er kann sich in seiner ganzen Pracht mit den edelsten Plätzen der Hauptstadt messen. Es scheint, als wäre er einfach aus Paris herausgefallen wie ein Puzzelteil - das durch eine seltsame Fügung in Nancy gelandet ist. Weil Héré und Lamour eine Sternstunde hatten und weit über ihre Lothringer Provinz hinauswuchsen. Was für eine Kulisse. Man sollte sie nutzen für einen perfekten Sommerabend.

Zum Thema:

Auf einen BlickDas barocke Nancy kann gut zu Fuß erlaufen werden. Neben dem Place Stanislas gehören noch zwei weitere Plätze zum Unesco-Weltkulturerbe : Place d'Alliance und Place de la Carrière. Weitere Infos gibt es im Internet. redde.nancy-tourisme.fr

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