Kunst, Kultur und Kümmelkäse

Riga · „Force majeure, höhere Gewalt“ ist das Motto der europäischen Kulturhauptstadt 2014. Die Stadt Riga, die auf eine bewegte Vergangenheit und Jahrzehnte der Fremdherrschaft zurückblickt, hat sich zu diesem Anlass herausgeputzt.

Unübersehbar thront die neue Nationalbibliothek gegenüber der Altstadt am Ufer der Düna, die hier, nur wenige Kilometer von der Ostseemündung entfernt, bis zu 700 Meter breit ist. Entfernt erinnert das gigantische Gebäude an eine Skischanze, aber damit darf man den Letten nicht kommen: "Palast des Lichts" nennen sie die Bibliothek, deren Lichter sich abends in der Düna spiegeln, stolz. Eine Hauptrolle spielte sie beim Auftakt des Kulturhaupstadtjahres. In einer zwei Kilometer langen Menschenkette, die etwa 15 000 Bücher quer durch die Stadt reichte, wurde das kulturelle Erbe Lettlands von Hand zu Hand aus der alten in die neue Bibliothek befördert. Eine symbolträchtige Aktion, die an die Menschenkette erinnert, mit der die Balten 1989 friedlich für die nationale Unabhängigkeit demonstrierten. Im August soll die neue Bibliothek, an der seit 20 Jahren gebaut wird, eröffnen.

Das Etikett "Kulturhauptstadt" bringt Erwartungen mit sich, die Riga nach seinen Möglichkeiten bedient: Mit Ausstellungen, Konzerten und Ballett. In der Nationaloper, die sich schneeweiß am Boulevard der Freiheit erhebt, komponierte Richard Wagner die Anfänge von "Rienzi". Die Aufführung der Oper ist eine der vielen Veranstaltungen, mit denen die Stadt in diesem Jahr glänzt. Der Innenstadt merkt man die gerade erst überstandene Rezession, die das öffentliche Leben in Lettland in den letzten Jahren fast lahmgelegt hat, kaum an. Teure Boutiquen und gut besuchte Café säumen die Gässchen der Altstadt, viele der im hanseatischen Stil erbauten Häuser sind frisch renoviert, die prunkvollen Jugenstilbauten und typischen Holzhäuser in der Neustadt erstrahlen in neuem Glanz. Dass die Arbeitslosenzahlen seit ihrem Höchststand vor vier Jahren wieder zurückgegangen sind, hängt allerdings damit zusammen, dass fast ein Zehntel der lettischen Bevölkerung emigriert ist, so Ijabs.

An der Grenze zwischen Alt- und Neustadt steht das Symbol der lettischen Freiheit. Die hohe Frauenfigur aus Kupfer, die drei Sterne in die Höhe reckt, wird von zwei Soldaten der Ehrengarde bewacht, das Gewehr bei Fuß, die Miene starr. Den sowjetischen Besatzern war die 28 Meter hohe Statue ein Dorn im Auge, nach dem Zweiten Weltkrieg sollte die Milda, wie die Letten sie liebevoll nennen, sogar gesprengt werden. "Fast ein Wunder, dass sie 50 Jahre Besatzung überlebt hat", meint Ijabs. Heute ist das Denkmal ein beliebter Treffpunkt, hier werden Hochzeiten gefeiert oder es wird demonstriert. Um die Rolle, die "Milda" für die Letten spielt, besser zu verstehen, lohnt ein Besuch im Lettischen Okkupationsmuseum. Es dokumentiert die Zeit von 1940 und 1991, in der Lettland sowohl die deutsche als auch die sowjetische Besatzung erduldet hat. Über 70 000 lettische Juden wurden im Zweiten Weltkrieg von den Nazis ermordet, in den folgenden Jahrzehnten terrorisierte die sowjetische Besatzungsmacht die Bevölkerung mit Zwangsumsiedlungen und Verhaftungen. In einer Sonderausstellung zeigt das Museum seit Mai auch erstmals die Arbeit des ehemaligen Komitees für Staatssicherheit (KGB ) im berüchtigten "Eckhaus", dem Rigaer KGB-Hauptquartier.

Aal und Sauerkraut

Etwas weiter nordöstlich, zwischen Kanal und Düna erstreckt sich der Rigaer Zentralmarkt. Die Markthallen sind ehemalige Zeppelin-Hangars, die nach dem ersten Weltkrieg als Reparationsleistung nach Riga gebracht wurden. Draußen an den Ständen bieten Frauen hausgemachtes Sauerkraut , Kümmelkäse und handbeschriftete Gläser mit sauren Gurken feil. Berge von Cranberries, die wild in den Kiefernwäldern entlang der Ostsee wachsen, türmen sich an den Ständen. Innen wird auf fast 2500 Quadratmetern Fisch angeboten: Aale, Makrelen, Flundern, Hering und Lachs, frisch oder geräuchert, mit Mandeln oder Knoblauch. Hier wird nur Lettisch gesprochen, doch mit Händen und Füßen kommen Touristen ans Ziel.

Jenseits des Kanals, nur ein paar Schritte vom Markt entfernt, ist keine Spur mehr vom Postkarten-Glanz der Innenstadt. Hier liegt die Moskauer Vorstadt, die während des Zweiten Weltkriegs das jüdische Ghetto war. Statt der Cafés und Geschäfte prägen verfallene und doch bewohnte Holzhäuser , Plattenbauten, löchriger Asphalt und brüchiges Kopfsteinpflaster das Stadtbild. "Da sieht man die Einkommensunterschiede in Lettland ", erklärt Ijabs. Mehr als ein Viertel aller Letten lebt von weniger als 350 Euro im Monat.

Zum Thema:

Auf einen Blick:Täglich fliegen die airBaltic, die Lufthansa und Ryanair aus mehreren deutschen Städten nach Riga . Vom Flughafen in die Innenstadt fährt der Bus Nr. 22 in ca. 30 Minuten. Informationen zu Unterkünften und Veranstaltungen gibt es unter www.liveriga.com .

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