Hier lebt die Vergangenheit

L'Isle-sur-la-Sorgue · L'Isle-sur-la-Sorgue ist eine Kleinstadt in der Provence. Doch dieser Ort hat einen großen Namen. Wer in Frankreich Antiquitäten sucht, wird hier mit hoher Wahrscheinlichkeit fündig. Vor 50 Jahren begann alles mit einem bescheidenen Flohmarkt. Heute werden bei diesem Antiquitätenmarkt in der Nähe von Avignon Millionen umgesetzt.

 Piérre Zordan ist einer der Antiquitäten-Händler in der Galerie „Le Village de la Gare“ in L'Isle-sur-la-Sorgue. Er hat sich auf Stücke aus dem 18. Jahrhundert spezialisiert, bietet aber auch „schräges Zeug“ an, wie ein U-Boot-Modell. Seine Freundin hilft beim Verkauf. Fotos: Maack

Piérre Zordan ist einer der Antiquitäten-Händler in der Galerie „Le Village de la Gare“ in L'Isle-sur-la-Sorgue. Er hat sich auf Stücke aus dem 18. Jahrhundert spezialisiert, bietet aber auch „schräges Zeug“ an, wie ein U-Boot-Modell. Seine Freundin hilft beim Verkauf. Fotos: Maack

Sonntags ab 10 Uhr ist in L'Isle-sur-la-Sorgue kein Durchkommen mehr. Die bescheidene Klein-stadt in der Provence plustert sich an diesem Tag auf wie ein Pfau, um Gäste aus aller Welt zu empfangen. Ein amerikanisches Ehepaar promeniert mit einem fetten Mops die Avenue de l'Egalité entlang, gefolgt von einer englischen Lady in einem bodenlangen Nerz.

Es herrschen um die Osterzeit zwar schon angenehme 18 Grad, aber am Sonntag muss man zeigen, was man hat. Denn heute ist Antiquitätenmarkt. Stücke zwischen 100 Euro und einer Million Euro wechseln an solchen Tagen die Besitzer, die Stimmung ist gut.

Die auffällig betuchten Interessenten, die hierher kommen, tun es aus einem einzigen Grund: sie wollen etwas kaufen, was sie anderswo kaum noch finden. Oder wofür sie in Paris oder London doppelt so viel zahlen müssten wie in dieser verschlafenen Kleinstadt, 25 Kilometer südöstlich von Avignon.

Beim Händler Franck Baptiste hängt ein Prunkstück, frisch aus Monaco herübergekommen - aus einer Haushaltsauflösung. Der Sohn der Verstorbenen hat keine Verwendung für einen venezianischen Spiegel aus dem 18. Jahrhundert, ein silbrig schillernder Traum aus hauchdünnem Glas und Quecksilber, der die vornehme Leichtigkeit einer Mozart-Arie verströmt. Mit 20 000 Euro ist man dabei. Die Dame im Nerz überschlägt, was sie dafür wohl in London hinblättern müsste. Sie will erst einmal einen Kaffee trinken, "I will be back soon", sie will bald zurück sein.

Sofern das edle Teil dann noch vorhanden ist. Denn heute sind noch mehr Gäste unterwegs, die diese Summe aus der Portokasse bezahlen. Doch das Schöne an dem Ort L'Isle-sur-la Sorgue ist, dass er eben nicht nur Reiche anzieht, sondern auch Besucher, für die der Kauf eines venezianischen Spiegels ebenso aussichtslos erscheint wie eine Erbschaft in Monaco.

Für sie ist der Sonntag hier großes Kino, noch dazu gibt es vieles, was auch sie sich leisten können: Gemüse aus Cavaillon, Olivenöl aus dem Var, Würste aus der Auvergne, Keramik aus Vallauris und bunte Tischdecken aus Arles. Die Cafés haben geöffnet, Kellner balancieren Tabletts herum, voll beladen mit Pastis-, Muscadet- oder Roségläsern, die appetitlich klimpern.

Das Leben ist schön, auch wenn man nicht überall mitspielen kann. Es gibt nicht nur hochwertige Stücke, auch originelle und günstige Sachen sind entlang der Straßen im Angebot, zumal der Antiquitätenmarkt vor 50 Jahren als Trödelmarkt begann, als "vide-grenier", wie die Franzosen dazu sagen.

Befeuert wurde er vom Immobilienmarkt, denn je mehr wohlhabende Briten sich in der Provence niederließen, desto steiler stieg die Nachfrage nach Möbeln an, Hauptsache alt und französisch.

Neun verschiedene Antiquitätengalerien und privat betriebene Verkaufshallen mit insgesamt 300 Händlern erstrecken sich heute entlang des Altstadtrings. Es sind eigene kleine Welten, die man durch ein Tor betritt. Mireille Dongier, die vom Großvater ein Stadtgrundstück geerbt hat, verpachtet es seit über 20 Jahren an Antiquitätenhändler. Die bieten dort in kleinen Steinhäusern, die von Rosenbüschen umrankt werden, Gegenstände aus allen Epochen an, von Chanel-Taschen über bestickte Leinenbettwäsche bis Sèvres-Porzellan.

"Es gibt keinen schöneren Beruf für mich, als täglich mit Antiquitäten zu tun zu haben", sagt Pierre Zordan, ein charmanter Südfranzose, "es ist ein Leben mit der Vergangenheit, das jung erhält". Kein Wunder, dass seine neue Verlobte fast seine Tochter sein könnte.

Doch was wäre ein Einkaufsbummel, ohne sich vom "Beutemachen" zu erholen? Mitten in einem Antiquitäten-Dorf kann man sich im Café du Village niederlassen. Es ist in altem Industrie-Design eingerichtet, mit Blechstühlen, Eisentischen und rostigen Deckenlampen. Gegenüber verkauft ein Händler bäuerliche Gebrauchsgegenstände: Mistgabeln, Leitern, eine Weinpresse. Die Bude ist voll, der Wein macht die Runde und es wird gelacht. Und man stellt fest, dass man von einem Sonntag in L'Isle-sur-la Sorgue noch lange nicht genug hat. Am Abend ist auch der venezianische Spiegel verkauft. Ob es die Engländerin war, ein reicher Pariser oder das Paar mit dem Mops - wer weiß das schon.

 Auch wer keine Antiquitäten kauft, findet in L'Isle-sur-la-Sorgue viele interessante Angebote. Zum Beispiel in den zahlreichen Geschäften mit Spezialitäten aus der Provence.

Auch wer keine Antiquitäten kauft, findet in L'Isle-sur-la-Sorgue viele interessante Angebote. Zum Beispiel in den zahlreichen Geschäften mit Spezialitäten aus der Provence.

Zum Thema:

Auf einen BlickDie Kunst- und Antiquitätenmesse in L'Isle-sur-la-Sorgue gibt es seit 50 Jahren. Deshalb werden zusätzlich zu den üblichen Sonntagsmärkten zwei große Messen veranstaltet: Vom 25. bis 28. März und vom 12. bis 15. August. Wichtig: Die Antiquitätengalerien sind immer nur von Freitag bis Montag geöffnet. www.oti-delasorgue.de

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