Fahrradweg „Voie bleue“ Vom Dreiländereck bis nach Lyon auf dem Rad gen Süden

Special | Burgund · Vom Dreiländereck bis nach Lyon schlängelt sich die „Voie Bleue“-Radstrecke entlang von Flüssen und Kanälen. Seit Anfang 2023 ist nun auch der letzte Abschnitt ausgebaut. Wir sind sechs verschiedene Etappen auf dem 700-Kilometer-Weg gefahren.

Natur und Kultur erleben entlang französischer Wasserstraßen
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Foto: Esther Brenner

„Nehmen Sie einen kleinen Anlauf, schwingen Sie sich auf den Sattel, dann finden Sie die Pedale und halten die Balance!“, rät Michel Borg. Er leitet das Musée du Vélo, das Fahrradmuseum in Tournus. Ehrenamtlich, aber leidenschaftlich. Vor diesem fantastischen Museum in einer ehemaligen Fabrik steht ein Hochrad wie es Ende des 19. Jahrhunderts erfunden wurde, zum Ausprobieren für die Besucher. Ein großer Spaß für Mutige, wenn man schnittige Mountainbikes mit 24 Gängen oder gar Elektro-Fahrräder gewöhnt ist. „Bremsen gibt es nicht, man muss geschickt Abspringen“, warnt er. Wir probieren es aus.

Sterneküche und Fahrradmuseum in Tournus

Das verwunschene, mittelalterliche Tournus, unser Übernachtungsstopp auf dem Weg von Chalon-sur-Saône nach Belleville-en-Beaujolais ist eigentlich berühmt für seine romanische Kirche St. Philibert mit Abtei aus dem 11. Jahrhundert. Und seine Sterne-Gastronomie. Das dortige Fahrradmuseum hingegen wartet noch auf Besucherströme. Es ist ein echtes Highlight, gerade für Fahrradtouristen. Es zeigt seit 2010 mehr als 200 Fahrräder von Anfang des 19. bis Ende des 20. Jahrhunderts aus der Sammlung des Metzgers Michel Grézaud aus Tournus, liebevoll arrangiert und erklärt von einem ehrenamtlichen Trägerverein, der das Museum drei Tage pro Woche von April bis September öffnet. Von den ersten Laufrädern aus Holz über Draisinen, Hochräder, ersten Fahrrädern mit Kettengangschaltung bis hin zu Kuriositäten wie einem Modell mit einer im Sattel integrierten Luftpumpe oder dem Weltrekord-Fahrrad aus geblasenem Carbon. Faszination Fahrrad pur.

23 Etappen auf 700 Kilometern

Die Fahrradfans aus dem 19. Jahrhundert hätten uns moderne Bike-Touristen sicherlich beneidet um den Komfort, mit dem wir heutzutage auf zwei Rädern unterwegs sind. Wer mit dem Fahrrad vom Norden Frankreichs in den Süden fahren will, kann sich seit kurzem über einen auf vielen Etappen neu ausgebauten Radweg freuen, der das französische und europäische Radwegenetz ergänzt: Die „Voie Bleue“. Seit 2021 verbindet dieser neue Flussradweg die drei französischen Regionen Grand Est (Ostfrankreich), Burgogne-Franche-Comté und Auvergne-Rhône-Alpes auf 23 Etappen und insgesamt 700 Kilometern. Auch wenn hier und da noch ein paar Markierungen und Hinweise fehlen, im Großen und Ganzen ist die Strecke mittlerweile gut ausgebaut und beschildert. Teilweise verläuft sie auf anderen bekannten Rad- und Wanderwegen wie den „Voies Vertes“ beispielsweise. Immer wieder kreuzen weitere Radwege die „Voie Bleue“ und laden zu Abstechern ein.

Von der Mosel über den Vogesenkanal bis zur Saône

Die „Voie Bleue“ beginnt im lothringischen Sierck-les-Bains an der Mosel und schlängelt sich dann auf alten Treidelpfaden entlang der Mosel und ihres Kanalsystems durch die wunderbare Wald-. Wiesen- und Flussauen-Landschaft der Vogesen. Der Canal des Vosges (Vogesenkanal) trifft bei Corre auf die Saône. Die wiederum wird einige Kilometer weiter zu einem der am besten schiffbaren Flüsse Frankreichs und fließt in Lyon in die Rhône. Bis dorthin, in die Stadt der Renaissance und der Gourmets, führt auch die blau markierte Radstrecke.

Start im Dreiländereck

Wir starten zur ersten Etappe in Apach, direkt hinter der deutsch-französisch-luxemburgischen Grenze. Schon wenige Kilometer weiter erreichen wir die Festungsstadt Sierck-les-Bains mit ihrer Burgruine der Herzöge von Lothringen. Von dort aus hat man einen tollen Blick auf die Mosel und die Weinberge. Je nach Laune kann man hier die Burg besichtigen oder aber weiterfahren und an einem der kleinen Weingüter halten, um einen leckeren Tropfen Riesling oder Weißburgunder zu kosten. Weiter geht es an diesem Tag ins 30 Kilometer entfernte Thionville, ehemals ein Zentrum der Stahlindustrie. Industriekultur prägt diese interessante lothringische Landschaft. Die 1991 stillgelegte Hütte von Uckange auf dem Weg nach Metz, auf unserer zweiten Etappe, ist einen Besuch wert.

Von Thionville nach Metz

34 Kilometer weit radelt man von Thionville nach Metz, der Hauptstadt des Départements Moselle. Die wunderschöne Stadt mit der filigranen gotischen Kathedrale (Chagall-Fenster besichtigen!) hat eine bewegende deutsch-französischen Geschichte, gehörte zwischen 1871 bis 1918 zum Deutschen Kaiserreich, danach wieder zu Frankreich. Bis die Nazis kamen - und wieder gingen. Mit dem Fahrrad lässt sie sich gut entdecken – wer hungrig ist, findet jede Menge Gastronomie auf den Straßen und Plätzen, aber auch in der Markthalle gleich gegenüber der Kathedrale.

Barockes Erbe und Jugendstil in Nancy

Unsere dritte Etappe startet in Nancy. Dort empfängt uns Vincent Dubois im Office du Tourisme am berühmten Place Stanislas. „Vor genau 40 Jahren wurde dem Platz der Titel Unesco-Weltkulturerbe verliehen. Das feiern wir“, berichtet er und erzählt vom polnischen König Stanislas, den es nach Nancy ins Exil verschlagen hatte. Dem Schwiegervater des französischen Königs Ludwigs XV verdankt die Stadt ganz wesentlich ihre Schönheit. Das beeindruckende spätbarocke Ensemble am Platz, das dem Schloss von Versailles nachempfunden wurde, zieht jährlich Tausende Touristen an. Aber nicht nur für sein barockes Erbe ist Nancy bekannt. Die Stadt an der Meurthe und entlang eines Kanals, an dem die „Voie Bleue“ verläuft, ist auch ein Zentrum der Jugendstilarchitektur und der Art déco. Wir erkunden den gut beschilderten Jugendstil-Parcours mit dem Fahrrad – und freuen uns über diese fahrradfreundliche, wunderschöne Stadt. Beim Traiteur in der Renaissance-Altstadt gibt es dann leckere überbackene Auberginen und ein Glas Wein, bevor wir uns aufmachen nach Charmes, rund 50 Kilometer weiter.

Eines der schönsten Naturschutzgebiete Frankreichs

Zwischen Nancy und Charmes liegt eines der schönsten Naturschutzgebiete im Nordosten Frankreichs. Die Sonne scheint, es weht ein angenehmer Wind. Unser Weg führt zwischen dem Vogesenkanal und der mäandernden, wilden Mosel entlang. Über weite Strecken ist vom Fluss nichts zu sehen, dafür schweift der Blick über Wiesen, Felder und große Auenwälder, reich an Flora und Fauna. An den vielen Schleusen mit teils hübschen Häuschen laden Tische und Bänke zum Rasten ein. Wer hier ein bisschen Zeit mitbringt, kann Vögel beobachten oder auch mal die Auen zu Fuß erkunden.

Vom Burgund ins Beaujolais bis nach Lyon

Durchs südliche Burgund radeln wir in zwei Etappen. Von Chalon-sur-Saône bis Tournus. Und von dort über Macon bis nach Belleville, das nicht mehr direkt an der Voie Bleue liegt, sondern gegenüber am westlichen Ufer am Rande des Weinbaugebietes Beaujolais. Die Strecke von Chalon über Tournus bis Macôn auf dem Treidelpfad direkt am Flussufer entlang ist sehr entspannend. Ab Macon wechselt die „Voie Bleue“ fast bis Lyon die Seite. Immer wieder halten wir, um den Fluss unter schattigen Pappeln sitzend zu genießen. Gerade als wir uns nach einer Pause sehnen, taucht rund neun Kilometer vor Tournus der Kiosk „Le P‘tit Vélo“ auf. Im „Kleinen Fahrrad“ schenkt Guy von April bis Mitte September eisgekühlte Erfrischungen aus. Er macht erst einmal ein Foto von uns vor seinem originellen, liebevoll dekorierten Ausschank, den ein kaputter Porzellanhund bewacht. Dann serviert er uns ein heimisches Bier. Wir strecken die müden Beine aus, genießen Sonne, Fluss und Drink, prosten dem Nachbartisch zu – und machen uns dann – etwas unwillig – auf den Weg zum Etappenziel des Tages: Tournus.

Chardonnay zur Mittagszeit in Macôn

Von dort geht es am nächsten Tag erst nach Macôn (33 Kilometer), dann weiter nach Belleville-en-Beaujolais (nochmal rund 20 Kilometer). Macôn trägt selbstbewusst den Titel „Stadt des Weins“ und ist (obwohl kleiner als Chalon) das Verwaltungszentrum Burgunds. Hier halten wir zum Mittagessen im stilvollen Maison Macônnais direkt am Ufer der Saône, dort wo auch sehr viele Einheimische speisen, weil die Altstadt selbst sonntags um die Mittagszeit ziemlich ausgestorben wirkt, zumindest gastronomisch. Es gibt fantastischen Chardonnay und typisch burgundische Spezialitäten. Im Keller kann man die guten Tropfen auch erwerben. Man sollte auf der Tour darauf achten, dass Restaurants in Frankreich mittags meist ab 15 Uhr schließen und erst frühestens um 18 Uhr wieder öffnen. Sonst kann es sein, dass man mit knurrendem Magen weiterfahren muss.

Mutter Teresa grüßt in der Abteikirche von Belleville

Im warmen Abendlicht kommen wir in Belleville an. Die Kleinstadt mit ihrer wunderschönen, frisch restaurierten romanischen Abteikirche wirkt verschlafen, aber sympathisch. Normalerweise kennt man die Heiligenfiguren nicht persönlich, in dieser Kirche aber trifft man auf eine Figur der 2016 heilig gesprochenen Mutter Teresa (1910-1997). Valérie, unsere Gastgeberin in der charmanten Frühstückspension „De la chambre au jardin“ (mit Pool und Frühstück im Wintergarten) empfiehlt uns einen zwölf Kilometer langen Abstecher in die Weinberge des Beaujolais auf einer „Voie Verte“ Richtung Beaujeu, ehemals Hauptstadt der Region. Solche Abstecher sind empfehlenswert und ebenfalls gut ausgeschildert. Man sollte extra Zeit dafür einplanen, es lohnt sich, neue Landschaften links und rechts des Flussradweges zu entdecken.

Zugfahren mit dem Rad kann eine Tortur sein

Von Belleville geht es mit dem Zug zurück nach Chalon. Und das ist leider eine Tortur. Es gibt (noch) keinen Aufzug, also müssen wir die schweren Fahrräder Treppen hoch und runter bis zum Gleis schleppen. Der erste Zug fällt aus, der nächste ist eine Stunde zu spät und völlig überfüllt. Mit Mühe quetschen wir uns und die Räder noch rein. Wer plant, die Bahn zu nutzen, sollte sich unbedingt vorher über die Barrierefreiheit der Bahnhöfe informieren. Hier gibt es noch viel zu tun. Zurück in Chalon treffen wir die Stadtführerin Karoline Knoth. Ihre Führung beginnt an der Statue von Nicéphore Niepce an der Uferpromenade. Niepce (geboren 1765 in Chalon) ist ein Wegbereiter der modernen Fotografie, denn ihm gelang vermutlich 1826 die erste lichtbeständige Aufnahme der Welt. Dem Erfinder ist ein Museum gewidmet. „Chalon war schon zur Römerzeit ein wichtiger Knotenpunkt am Fluss. Hier führte auch die Via Agrippina, die römische Autobahn, entlang“, erklärt uns die kundige Führerin, die viel weiß sowohl über die Stadt und ihr römisches, mittelalterliches und religiöses Erbe als auch über die Weine des Burgund. Die Kathedrale St. Vincent (Baubeginn im 9. Jahrhundert) mit neogotischer Fassade aus dem 19. Jahrhundert am wunderschönen Markt mit seinen spätmittelalterlichen Häusern ist unbedingt einen Abstecher wert.