Eine Kohlfahrt, die ist lustig

Oldenburg · Im Winter bevölkern fröhliche Gruppen mit Bollerwagen die Wanderwege rund um die niedersächsische Stadt Oldenburg. Anschließend kehren alle zum Grünkohl-Essen ein. Die sogenannten Kohlfahrten bei Minusgraden, begleitet von Spielen und Schnäpsen, sind längst nicht mehr nur bei Oldenburgern gefragt.

 Zu einer echten Kohlfahrt im Oldenburger Land gehört das Boßeln, ein sportlicher Wettkampf mit einer Kugel. Foto: Oldenburg Tourismus/ Brandt

Zu einer echten Kohlfahrt im Oldenburger Land gehört das Boßeln, ein sportlicher Wettkampf mit einer Kugel. Foto: Oldenburg Tourismus/ Brandt

Foto: Oldenburg Tourismus/ Brandt

"Hier up an, hierher!" Über den Waldboden im Staatsforst Wildenloh schießt eine dicke Kugel aus Gummi. Fast genau vor die Füße eines jungen Mannes in Mantel und Ohrenklappenmütze. "Und Stopp!", ruft er. Auf dem Pfad taucht eine Gruppe Menschen auf, in ihrer Mitte ein Bollerwagen voller Flaschen und Thermoskannen. Alle tragen einen Eierbecher an einer Schnur um den Hals. Und alle singen: "Eine Kohlfahrt, die ist lustig, eine Kohlfahrt, die ist schön!"

So sieht eine typische Kohlfahrt aus - in der Region um Oldenburg sind sie jeden Winter Tradition. Dabei steht das Oldenburger Nationalgericht im Mittelpunkt: der Grünkohl . Dokumente erwähnten das Wintergemüse, auch als Braunkohl bekannt, schon im 14. Jahrhundert. Der 1859 gegründete Oldenburger Turnerbund gilt als Erfinder der Kohlfahrt, einer Wanderung mit anschließendem Kohlschmaus. 1920 kam das Boßeln hinzu: Eine Kugel wird mit möglichst wenigen Würfen über eine feste Strecke im freien Gelände ans Ziel gebracht.

"Achtung, Kurve! Alle fertigmachen zum Eckentrinken!" Der junge Mann in Ohrenklappenmütze schenkt Glühwein und Korn in die Eierbecher. Das wiederholt sich an jeder Wegbiegung. Nach dem Boßeln sind nun Spiele dran: Ein Teebeutel wird am Etikett zwischen die Zähne geklemmt und möglichst weit geschleudert. Danach stellen sich die Teilnehmer paarweise auf. Der eine hat eine rohe Spaghetti zwischen den Lippen, der andere eine Makkaroni. Jetzt muss die lange dünne in die hohle dicke Nudel. Nicht ganz einfach nach den vielen Wegkurven.

Typisch norddeutsch soll der Grünkohl sein: zäh, genügsam und für wechselhaftes Wetter geeignet. Wird er nach den ersten Frostnächten des Herbstes geerntet, schmeckt er aromatischer. Früher galten Grünkohl und Pinkel, eine Wurst aus Schweinefleisch und Hafergrütze, als Arme-Leute-Essen. Heute lassen sich auch hochrangige Politiker die deftige Leckerei gern schmecken. Seit 1956 gibt es das "Defftig Ollnburger Grönkohl Äten" für einen erlauchten Kreis, seit 1998 in Berlin. Jedes Jahr wird dabei ein Kohlkönig oder eine Kohlkönigin gekürt. Auch Helmut Kohl und Angela Merkel wurden schon gekrönt. Amtierende Majestät ist Hüseyin Avni Karslioglu, der türkische Botschafter in Deutschland.

Die Kohlfahrt-Gruppe aus dem Wildenloh sitzt inzwischen im Landhaus Friedrichsfehn vor beladenen Tellern. Als eins von etwa 60 Gasthäusern der Region veranstaltet das Lokal auch eigene Kohltouren, so Bettina Koch von der Tourist-Info Oldenburg . "Wegen der hohen Nachfrage bieten wir dieses Jahr zum ersten Mal öffentliche Kohlfahrten an", berichtet sie.

Der Grünkohl landet aber nicht nur auf dem Teller, er hat es bis in die Forschung geschafft: Dirk Albach an der Universität Oldenburg kennt an die 50 Sorten. Seit über zehn Jahren gibt es zudem die "Oldenburger Grünkohl-Akademie" mit Kursen wie Zubereitung, Boßeln und Plattdeutsch.

Nach dem Mahl drücken sich die Wanderer im Landhaus Friedrichsfehn gegenseitig eine Tasche in die Hand, immer rund um den Tisch. In der Tasche tickt eine Eieruhr. Bei einer Frau im roten Pulli schrillt sie los. "Ick bünn Kohlkönigin!", ruft sie unter Applaus. Und hat damit die Ehre, in einem Jahr die nächste Kohlfahrt zu organisieren.

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Auf einen Blick:Von Dezember bis Ende März ist im Oldenburger Land Kohlfahrt-Saison. Grünkohl-Rezepte, Termine der Kohlfahrten, das Kursangebot der "Oldenburger Grünkohl-Akademie" sowie Tipps zu Wanderstrecken und Gasthäusern finden sich Internet. kohltourhauptstadt.de oldenburg-tourist.de

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