Die Festungen über den Wolken

Cucugnan · Eines haben die Katharerburgen alle gemeinsam: Sie wurden in exponierter Lage auf Bergspitzen gebaut. Urlauber können die Festungen in luftiger Höhe in der französischen Region Languedoc-Roussillon erkunden und sich auf eine Zeitreise ins Mittelalter begeben.

 Auf den ersten Blick könnte man die Bebauung für einen Teil des Felsgesteins halten: die Festung Peyrepertuse in Frankreich. Foto: Sobik

Auf den ersten Blick könnte man die Bebauung für einen Teil des Felsgesteins halten: die Festung Peyrepertuse in Frankreich. Foto: Sobik

Foto: Sobik

Mit einem Mal ist es windstill. Ganz plötzlich. Als hätte der Liebe Gott den klemmenden Hebel dafür doch noch in die Aus-Position wuchten und den Sturm einen Moment lang abschalten können. Eben noch hat es in den Ruinen der Festung von Peyrepertuse geweht, als wollte der Wind die 900 Jahre alte Burg der Katharer von der Felszinne heben. So als wollte er alle Zeiten durcheinander pusten.

Es stürmt oft in diesem Winkel Südfrankreichs, und es sind harte, böige Winde, die die Zypressen im 50-Grad-Winkel biegen und den mehr als beindicken Stämmen alles an Flexibilität abfordern. Nicht mal die Burgmauern halten den Wind draußen: Er rotiert in den Treppenhäusern der verbliebenen Turmreste, faucht in Rittersälen ohne Dach, als käme er senkrecht herniedergefahren, donnert mit einer Wucht durch schmale Schießscharten, als wären es sperrangelweit geöffnete Portale.

Wer über die hüfthohen Brüstungen der Festungsmauer hier gut 40 Kilometer außerhalb der Großstadt Perpignan schaut, sieht nichts Modernes, keine breiten Straßen, keine Überlandleitung, allenfalls ein an den Hang gegenüber geklebtes Dorf mit kaum mehr als wenigen Hundert Einwohnern.

Heimat der Katharer

Es hat sich wenig verändert hier in der Region Languedoc-Roussillon - im nördlichen Pyrenäenvorland, das vor Jahrhunderten Zankapfel zwischen den Königen von Aragon und denen von Frankreich war. In dieser Gegend waren einst die Katharer zu Hause. Sie gingen einen Sonderweg innerhalb der christlichen Kirche, wurden in einem 16 Jahre langen Kreuzzug unterworfen und von der Inquisition schließlich vernichtet. Damals war die Region noch als Okzitanien bekannt und ihre Einwohner sprachen Okzitanisch.

Es ist bis heute, als hätten sie ihre Burgen einfach in die Wolken geklebt, auf die höchsten Felszinnen gebaut, auf eigentlich unerreichbare Vorsprünge im Gebirge. Schraubt man sich mit dem Auto über schmale Serpentinen in diese Gegend hinauf und erahnt schließlich irgendwo am Horizont eine Struktur ganz oben auf den Felsen - so rechtwinklig, dass sie nicht von der Natur geschaffen worden sein kann - dann glaubt man es nicht, dass dieses Grau aus Quadern auf dem Gipfel menschengemacht sein kann. Peyrepertuse ist so ein Fall - und die Burg Quéribus ebenso.

Elf Burgen der Katharer und ihrer unmittelbaren Nachfolger gibt es in der Region noch heute. Raymond Fannoy hat keinen Blick mehr für die Steine, die sich seit Jahrhunderten dort oben auf dem Berg türmen: "Für mich ist die Burg ganz normal, sie ist einfach da. Und sie war immer da." Er rührt mit dem Kochlöffel im Topf mit der Rotweinsoße für seine Rouladen - und müsste nur ins Freie treten, um die Silhouette von Quéribus am Horizont zu sehen. Die Burg ist es, die ihm heute die meisten Gäste beschert - diejenigen, die in den vier Zimmern seiner "Auberge de Vigneron" in Cucugnan unterkommen. Und die vielen Tagesbesucher im Sommer, die er in seinem Restaurant an der Südseite des 110-Einwohner-Ortes verköstigt.

Die meisten Touristen kommen als Tagesbesucher von der Mittelmeerküste - oder aus Carcassonne weiter im Norden, selber Festungsstadt und einst ebenfalls ein Sitz der Katharer. Außerhalb der Hochsaison versinkt die Region wieder in ihrem Dämmerschlaf - als wäre seit Jahrhunderten nichts geschehen. Und als würde der Wind die Zeiten jedes Mal neu sortieren wollen. Ein Ritter an der nächsten Straßenecke? Könnte sein. Ein Schwert und ein Kettenhemd an der Garderobe im Gasthof? Gut möglich. Es würde in diese Gegend passen.

Zum Thema:

Auf einen Blick Das französische Pyrenäenvorland war eine Hochburg der Katharerbewegung. Um das Jahr 1000 entstand die religiöse Glaubensbewegung, die ihren Ursprung im Christentum hatte. red payscathare.com/de/ index.php

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