Kvarken-Archipel Schweden und Finnland kommen sich näher

Vaasa · Das Kvarken-Archipel bietet Besuchern ein faszinierendes Naturschauspiel: Jährlich erhebt sich hier das Land mehr aus dem Wasser.

 Kleine Dörfer und Sommerhäuser prägen das Bild der Inselwelt des Kvarken-Archipels.

Kleine Dörfer und Sommerhäuser prägen das Bild der Inselwelt des Kvarken-Archipels.

Foto: Jaakko Tähti/Visit Finland

Wenn Fredric Sandvik den Gashebel runterdrückt, lässt er 300 PS von der Kette. Sein Motorboot, die Bermuda, hebt den Bug und schnellt nach vorne. Mit mehr als 30 Knoten (60 Stundenkilometer) fährt er im Slalom durch einen engen Stangenparcours, so dass das Schiff gefährlich in Schieflage gerät und die Fahrgäste sich fest an die Reling-Stange klammern müssen – Gischt-Spritzer inklusive.

Fredrics Revier ist die Schärenwelt des Kvarken, ein Urzeit-Inselarchipel im nördlichen Teil der Ostsee, das sich westlich der finnischen Hafenstadt Vaasa erstreckt. Seit 2006 ist das Gebiet Unesco-Weltnaturerbe. Ungezählte Inseln – manche mehrere Quadratkilometer groß, andere nur aus wenigen Steinen bestehend – prägen den maritimen Horizont und geben abwechselnd den Blick in verwinkelte Buchten, zerklüftete Strände und karg bewachsene Eilande frei, die unvermutet aus dem Nichts auftauchen. Fredric, der mit den Schiffstouren seinen Lebensunterhalt verdient, kennt sie alle. Er weiß ganz genau, wo er hinfahren darf, um stets genügend Wasser unterm Kiel zu haben.

Denn das ändert sich dauernd. Hier hebt sich die Erde jährlich um fast einen Zentimeter. Dadurch dehnt sich die Landfläche pro Jahr um einen Quadratkilometer aus, was 150 Fußballfeldern entspricht. Wo bislang Wasser stand, tauchen irgendwann Steine auf, die kurze Zeit später von Flechten und Moosen bewachsen sind. Seichte Buchten trocknen aus.

Diese natürliche Landnahme ist eine Spätfolge der letzten großen Eiszeit vor etwa 12 000 Jahren. Damals lag ein drei Kilometer dicker Eispanzer über Nordeuropa. Dieser Monster-Gletscher drückte die Erdkruste um bis zu 1000 Meter ein. Nachdem das Eis geschmolzen und der Druck weg war, hob sich die Kruste allmählich wieder. Dieser Prozess dauert bis heute im nördlichen Ostseeraum an und wird Geologen zufolge in den nächsten Jahrtausenden weitergehen.

Auf dem finnischen Teil des Kvarken-Archipels hat der Eiszeit-Gletscher massenweise Steine hinterlassen – von faustdick bis meterhoch. Manche ähneln Tarnkappenbombern, andere erinnern an mächtige Bisonbüffel oder majestätische Elefantenbullen. Der Phantasie sind beim Betrachten der vielfachen Felsformationen keine Grenzen gesetzt. Der Sage nach soll der aus Schweden vertriebene Riese Finn seinen Sack mit Steinen vor dem finnischen Festland geöffnet und ausgeschüttet haben. Denn die gegenüber liegende Höga Kusten (Hochküste) Schwedens ist weitgehend steinfrei.

Für Touristen, die Ruhe und Entspannung in fast unberührter Natur suchen, ist das Kvarken-Archipel ein Paradies. Die Inseln tragen Namen wie Valasaaret, Mikkelinsaaret oder Sommarö. Fischerdörfer und Sommerhäuser ducken sich entlang der Küstenstreifen. Dahinter dehnen sich Birken-, Tannen und Kiefernwälder aus. Für Farbtupfer in der Landschaft sorgen die roten Früchte der Eberesche. Der Boden ist von Gras, Farn, Moos, Erika und Beeren-Hecken bedeckt. Sanddorn-, Wacholder- oder Heidelbeersträucher bilden ein dichtes Dickicht. Dazwischen schlängeln sich schmale Rad- und Wanderwege, auf denen die Inseln durchquert werden können. Und immer wieder Haufen von Felsen, die zum Klettern einladen und von wo aus der Wanderer die Weite des Wassers und der dort hineingesprenkelten Inselwelt auf sich wirken lassen kann.

Neben Wandern und Radfahren gehören Schwimmen, Fischen, Kajakfahrten oder Segeltouren zu den Aktivitäten mit hohem Freizeitwert. Im Winter ist Eisfischen angesagt. Der Angler schlägt ein Loch in den Eispanzer und wartet geduldig, bis ein Barsch oder Hecht anbeißt. Oder die Finnen laufen mit ihren Gästen über dünnes Eis und wetten mit ihnen, wer als erster einbricht. Das Ganze ist ungefährlich. Die Teilnehmer tragen gut wattierte Tauchanzüge mit Luft- oder Styropor-Kissen, die für Auftrieb sorgen. Beliebt sind auch Kicksleds, eine Art Rollator auf Kufen, mit dem man sich wie mit einem Roller durch Abstoßen auf Eis oder Schnee schnell und geschickt fortbewegt.

Kleine Herbergen bieten außerhalb der Stadt Vaasa Übernachtungsmöglichkeiten. Es werden aber auch Ferienhäuser, die am Wasser oder auf Waldlichtungen stehen, vermietet. Etwas für Naturburschen sind beispielsweise die beiden Wastinn-Landhäuser von Kristian Holmkvist, die er mit seiner aus Thailand stammenden Frau Pang im nördlichen Kvarken-Archipel betreibt. Die Luft ist frisch, die Ruhe ein Traum. Das Boot am nahen Schwimmsteg lädt zum Rudern und Angeln ein. Das Holz zum Beheizen der Sauna oder zum Grillen der selbst gefangenen Fische und des Rentier-Steaks aus der Tiefkühl-Truhe muss sich der Gast selbst kleinhacken. Einen besonderen Hoteltraum hat sich Freddi Skott mit seiner Herberge Kalle‘s Inn erfüllt. Mitten in eine schroffe Felslandschaft im äußersten Westen der Kvarken hat er entlang der Küste acht Glashäuser aufgestellt – mit 180-Grad-Rundum-Panorama. In klaren Nächten kann der Besucher von seinem Bett aus in den Sternenhimmel der Nordhalbkugel eintauchen oder – mit etwas Glück – das Farbspiel des Nordlichts beobachten.

 Reisekarte Kvarken

Reisekarte Kvarken

Foto: SZ/Steffen, Michael

Das urbane Zentrum der Region ist Vaasa, eine Stadt mit knapp
68 000 Einwohnern. Sie ist Start- und Zielpunkt der kürzesten Fährverbindung zwischen Finnland und Schweden. Viereinhalb Stunden dauert die Überfahrt ins schwedische Umea. Nachdem das alte Vaasa wegen der Landhebung allmählich vom Meer abgeschnitten worden war und zudem im 19. Jahrhundert bei einem Großbrand vernichtet worden war, errichteten die Bewohner direkt am Meer eine neue Stadt. Sie wurde am Reißbrett geplant, mit breiten Boulevards in Nordsüd- und Ostwest-Richtung – quadratisch, praktisch, gut. Vaasa ist schnell durchschritten, jedoch der ideale Ausgangspunkt für die Reise ins Kvarken-Archipel. Ihre wahre Schönheit öffnet sich erst auf den zweiten Blick. „Vaasa ist nicht nur die sonnigste Stadt Finnlands, sondern in unserer Region wohnen erwiesenermaßen die glücklichsten Menschen der Welt“, behauptet Tourismus-Chef Max Jansson. Bei näherem Hinschauen nimmt man das dem entspannt lächelnden Mann auch ohne weiteres ab.

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