Münchhausenstadt Bodenwerder Der Lügenbaron, er lebe hoch!
Bodenwerder · Hieronymus Freiherr von Münchhausen feiert seinen 300. Geburtstag und lenkt alle Blicke auf seine Heimatstadt Bodenwerder.
Auf dem Weg nach Russland band er sein Pferd in der tief verschneiten Winterlandschaft an der Spitze eines Kirchturms fest, ritt im Türkenkrieg auf einer Kanonenkugel, kletterte als Gefangener eines Sultans an einer Bohnenranke zum Mond hinauf und bewies sein Jagdtalent, indem er mit einer Leine und einem Stück Speck einige Dutzend Enten fing und sich von ihnen nach Hause fliegen ließ. Dies und noch viel mehr soll sich im Leben des weltbekannten Barons Münchhausen zugetragen haben. Und auch wenn jene im vertrauten Kreis bei einem Glas Punsch zum Besten gegebenen Geschichten unterhaltsame Produkte der Fantasie waren, ihren Erzähler gab es wirklich.
Es war der 11. Mai 1720, als Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen auf dem elterlichen Gut in Bodenwerder geboren wurde. Einem tausendjährigen Ort, der sich den Besuchern der Gegenwart als idyllischer Fleck zwischen den malerischen Höhen des Weserberglandes direkt am Ufer eben jener Weser präsentiert – mit bunten Fachwerkhäusern und betagten Kirchenbauten in den Gassen seiner schönen Altstadt. Bodenwerder erwartet den anstehenden 300. Geburtstags seines berühmten Sohnes. Die niedersächsische Kleinstadt würdigt ihn mit einem veranstaltungsreichen Jubiläumsjahr, gefüllt mit Konzerten, Lesungen, Vorträgen, Festen und Stadtführungen.
Ganz zu Recht schmückt sich Bodenwerder mit dem Titel „Münchhausenstadt“. Denn überall im Ort trifft man auf die Spuren des legendären Barons. So erhebt sich an prominenter Stelle sein Geburtshaus, das heute Rathaus ist und 1603 entstand: ein langgestreckter dreigeschossiger Fachwerkbau mit sparsam verwendeten Sandsteinelementen. Es ist mehr Herrenhaus als Schloss und nimmt sich eher bescheiden aus, verglichen mit den opulenteren Gütern der adligen Verwandtschaft. Wie dem nur wenige Kilometer entfernten Schloss Schwöbber, einer Perle der Weserrenaissance mit verspielten Giebeln und dekorativen Türmen. Es wurde vom vermögenden Obristen Hilmar von Münchhausen um 1570 als Alterssitz geplant und hat mittlerweile zwischen Park und Teich seine Berufung als traumschönes und luxuriöses Schlosshotel gefunden.
So wie Bodenwerders Rathaus Teil des einstigen Gutshofs war, so gehörten auch die Gebäude links und rechts daneben zu Hieronymus’ ererbtem Besitz: das vom Vater 1720 erbaute Brennereihaus und dann die über 700 Jahre alte Schulenburg, ein im Laufe der Zeit mehrfach umgebauter Wohnturm. Ein kleiner Park umrahmt das gepflegte Architekturensemble mit Rasenstücken, hohen Bäumen und einem schmalen Wasserlauf, auf dem sommers Seerosen treiben und Schwertlilien ihr Gelb ins Ufergrün tupfen. Er dient als romantische Kulisse für eine 800 Kilo schwere Bronzeskulptur, die Münchhausen zeigt, wie er sich samt Pferd am eigenen Zopf aus dem Sumpf zieht.
An der Fassade der Schulenburg, jenem ungewöhnlich anmutenden Bau mit dem hohen Sockel aus rötlichem Stein, auf dem ein weiteres Stockwerk in Fachwerk- und Backstein-Optik sitzt, prangt seit 2003 der Schriftzug „Museum“, während vor dem Eingang eine bunt bemalte Figur in Uniform, die mit fliegenden Rockschößen auf einer Kanonenkugel reitet, keinen Zweifel daran lässt, um wen es in der Ausstellung geht. Das Münchhausen-Museum zeigt Dokumente wie private Gegenstände aus dem Besitz seines Namensgebers: einen Reisekoffer, eine Regimentskasse, eine Steinschlosspistole und vieles mehr. Und natürlich erzählt es die Vita dieses besonderen Mannes, der schon in jungen Jahren als Page am braunschweigischen Hof in Wolfenbüttel Dienst tat und schließlich Herzog Anton Ulrich nach Russland folgte. Dort machte er militärische Karriere, bevor er – inzwischen im Stand der Ehe angekommen und zum Rittmeister befördert – als Dreißigjähriger nach Bodenwerder zurückkehrte, um das Gut zu übernehmen.
Aus den hinteren Museumsfenstern erblickt der Besucher jenseits der Straße und gut versteckt im Grün einen unscheinbaren Pavillon. Es ist die Grotte, die Münchhausen 1763 am Waldrand des Hopfenberges bauen ließ. Ein einziger Raum, mit knarrenden Dielen und Hirschgeweihen an den Wänden, in dem er umringt von seinen Jagdgesellen und weitgereisten Gästen am Kamin saß und eine Abenteuergeschichte nach der anderen aus dem Hut zauberte – genährt von seiner Zeit im Ausland, wo er nicht nur im Feld seinen Mann stand, sondern auch rauschende Feste am Petersburger Hof, prachtvolle Jagden und die Erzählkunst ebenso begnadeter Redner erlebte.
„Münchhausen bediente sich dabei in der Weltliteratur und entlarvte die Prahlerei anderer Leute, indem er selbst noch einen obendrauf setzte“, erklärt Museumsleiterin Dr. Claudia Erler Münchhausens Erzählweise. Doch sein humorvoller Umgang mit der Fantasie, in der für Naturgesetze und Logik kein Platz war, und seine Freude am Fabulieren erlebten einen herben Dämpfer, als die Literaten Rudolf Erich Raspe und Gottfried August Bürger Hieronymus als „Lügenbaron“ zu fragwürdigem Ruhm verhalfen. Denn während der eine dessen Geschichten 1785 weiter ausgeschmückt zu Papier brachte und in England anonym publizierte, übersetzte der andere das Buch im Jahr darauf ins Deutsche, verändert und um noch mehr Erfundenes ergänzt. Für Münchhausen war das Ganze eine Schmach, für seine Nachwelt ein Riesenglück, denn überall in der Welt wurden und werden seine Geschichten geliebt und gelesen. Wie die große Sammlung im Museum beweist, wo sich Bücher selbst in Krimtartarisch, Afrikaans und Esperanto auf den Regalböden drängen.
Für den Baron blieb die Veröffentlichung seiner Anekdoten eine tiefe Kränkung, auf die er mit Rückzug reagierte. Sein Leben wurde einsam, zumal nach dem Tod seiner Frau Jacobina 1790.
Vier Jahre später heiratete er dann erneut. Eine törichte Tat, denn Gattin Nummer zwei, gerade mal 20 Jahre alt, zögerte nicht lange, um dem Frischvermählten Hörner aufzusetzen. Und so begann im Jahr der Eheschließung ein Scheidungskrieg, der noch währte, als Hieronymus Freiherr von Münchhausen 1797 starb – verarmt und verachtet. Folglich führt uns seine letzte Spur in Bodenwerders Ortsteil Kemnade, wo er in der Klosterkirche St. Marien seinen Frieden fand. Einer romanischen Basilika, die in der verträumten Nachbarschaft alter Fachwerkhäuser seit fast tausend Jahren die Stellung hält. Sie ist Pilgerziel für Münchhausen-Fans, die im schlichten Kircheninneren die ebenso schlichte Grabstelle des „Lügenbarons“ entdecken: eine Bodenfliese aus Wesersandstein, in die neben Geburts- und Sterbejahr lediglich sein Name eingraviert ist.