Auf den Spuren von Tolstoi und Tucholsky
Heringsdorf · Viele bedeutende Schriftsteller aus dem 19. und 20. Jahrhundert ließen sich vom Flair der deutschen Insel Usedom inspirieren.
Der Ortsname Wolgast fällt oft, wenn man mit Hans-Ulrich Bauer durch Heringsdorf streift. In besagter Stadt in Ostvorpommern fertigte die Wolgaster Actien-Gesellschaft schon vor 1900 prächtige Holzhäuser entlang der Ostsee und schuf so die Vorläufer der heutigen Fertighäuser. Zu jedem der Bauwerke hat der Hobbyhistoriker und Buchautor Bauer bei einem Rundgang durch Heringsdorf eine Anekdote auf Lager, die Gebäude sind seine Leidenschaft, das dringt mit jedem Wort, mit jeder Geste durch.
Ganz begeistert wirkt er, wenn er über die Details und Eigenheiten der Häuser plaudert, hier Anleihen beim schweizerischen, dort beim nordisch-russischen Baustil beschreibt. Oder wenn er über nachträgliche Umbauten flucht, als beleidigten die ihn persönlich. Bei den zweistündigen Touristenführungen amüsiert er seine Teilnehmer mit Ratespielen: "Was wurde wohl an dieser Villa verändert?" fragt er, um flott einen Pack laminierter alter Aufnahmen aus seiner Tasche zu ziehen und damit über den Zustand der Gebäude vor dem Zweiten Weltkrieg aufzuklären.
Dem Laien fallen manche Feinheiten vom Gartenzaun aus kaum auf. Bauer schon. Er kennt sie alle. Er hat über die Wolgaster Holzhäuser das Buch "Ikonen der Bäderarchitektur" verfasst, unlängst eins über "Bansiner Villen in alten Ansichten". Sein mannigfaltiges Wissen ist nicht nur auf das bis 1819 als Fischerkolonie bekannte Heringsdorf beschränkt. Wer etwas über die Architektur der drei Kaiserbäder - Heringsdorf, Ahlbeck und Bansin - wissen will, ist bei ihm gut aufgehoben. Die Prachtbauten der drei Orte werden unter dem Begriff Bäderarchitektur vereint, obwohl kein Haus dem anderen gleicht. Die prunkvollen Villen sind weltweit in Fülle und Vielfalt einzigartig. Es gibt Balkone, Erker, Türmchen, Balustraden, säulengerahmte Loggien, pilastergesäumte Eingangsportale, breite Freitreppen und Stuck. Und früher gehörten auch berühmte Bewohner dazu.
Im Weißen Schloss etwa logierte Kaiser Wilhelm I. in seinem Urlaub, in der Villa Irmgard versuchte Maxim Gorki 1922 seine Tuberkulose zu kurieren. Einige der Gebäude sind heute Ferienwohnungen. Als Sommerresidenzen zum Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbaut, muten die Bauwerke auch heute noch an wie kleine Ableger der großen Stadthäuser aus den Berliner Villenvierteln Grunewald, Wannsee oder Lichterfelde.
Die Berliner Schickeria dieser Zeit war ganz versessen auf die Ostsee. Wer etwas auf sich hielt, baute in den Kaiserbädern, am prestigeträchtigsten sind die Bauten direkt an der kilometerlangen Meerespromenade, die bis ins nahegelegene Swinemünde in Polen reicht. Faszinierend ist es bis heute, hier eine klassizistische Kaufmannsvilla, da ein Schwarzwald- und dort ein schiffsähnliches Nordlandhaus im Stile skandinavischer Stabkirchen zu betrachten. Und sich vorzustellen, wer dort einst residierte. Wie war das etwa damals, als Schriftsteller wie Thomas Mann oder Leo Tolstoi nachmittags in der einstigen Kaffeemühle ihren Tee oder Kaffee tranken und dazu Wiener Brot aßen? Welche Ideen kamen Theodor Fontane, Kurt Tucholsky und Johann Strauß, als sie durch den Ort flanierten?
Zu Höhepunkten der Kaiserbäder gehören außer den Villen die Seebrücken. Ahlbeck, die älteste ihrer Art, wurde etwa durch Filme berühmt, zum Beispiel 1991 durch Loriots Streifen "Pappa ante portas". Die in Heringsdorf ist mit 508 Metern hingegen die längste auf dem europäischen Festland. Ob ihr Steg mit der vor Regen und Sturm schützender Glaswand, die Einkaufspassage und das Restaurant mit pyramidenförmigen Dach als Ensemble stilvoll oder hässlich ist, entscheidet jeder für sich selbst. Früher jedenfalls war der anmutige Holzbau ein deutlich spektakulärer Blickfang, wie Bauers Fotografien beweisen. Das Wort Wolgast fällt in diesem Zusammenhang natürlich auch.
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Musikfestival auf der Insel Usedom Vom 23. September bis 14. Oktober lädt Usedom zu seinem deutsch-polnischen Musikfestival. In diesem Jahr stehen die musikalischen Meisterwerke Dänemarks im Mittelpunkt der Veranstaltung. Die Konzerte sind auf mehrere Spielorte verteilt. www.usedom.de
