Cabrera-Insel Zeitreise in die Vergangenheit
Es Port · Auf der Baleareninsel Cabrera scheint die Zeit vor einem halben Jahrhundert stehengeblieben zu sein.
Von den vier Tischen auf der Veranda ist plötzlich nur noch einer besetzt. An der Bar plaudern nur noch zwei Männer, und hinter dem Tresen kommt Wirtin Cathy nach sechs Stunden Betrieb zur Ruhe, muss keine Colas mehr verkaufen, nicht mehr alle paar Minuten Bocadillos – belegte Brote mit Serrano-Schinken und Olivenöl statt Butter – über den Tresen reichen. Schlagartig ist die Stille zurück auf Cabrera.
Nicht dass es tagsüber verglichen mit jeder anderen Mittelmeer-Hafenstadt nicht auch ruhig wäre auf diesem Fleckchen Erde, anderthalb Bootsstunden vor Colonia de Sant Jordi an Mallorcas Südostküste. Aber zwischen 18 Uhr und elf Uhr am nächsten Vormittag steigert sich die Stille, spürt man die Abgeschiedenheit. Denn vor elf ist keines der drei, vier Ausflugsboote aus Mallorca da, gegen sechs fährt das letzte zurück. Dann ist Cabrera wieder fast ausschließlich den wenigen Einheimischen vorbehalten, außerdem den Adlern, ein paar Schafen, zahllosen Geckos. Und den Delfinen in den vielen einsamen Buchten.
Nur 42 Menschen leben ganzjährig auf der Cabrera, der Hauptinsel des gleichnamigen Archipels aus 17 Eilanden, die es insgesamt auf eine Fläche von nur 13 Quadratkilometern bringen. Nur den einen Ort, Es Port, mit ein paar weißgetünchten Häusern gibt es, nur die eine Bar, eine kleine Pension, nicht mal einen Laden: Der Massentourismus ist an diesem kleinen Paradies vorbeigezogen.
Dabei gab es Großprojekte für einen Yachthafen mit angeschlossenem Einkaufszentrum und Hotels mit 3000 Zimmern. Sie verschwanden auf wundersame Weise wieder in den Schubladen. Für immer. Heute steht Cabrera, jahrzehntelang militärisches Sperrgebiet, unter strengem Naturschutz.
Auf der Insel sieht es aus wie auf Mallorca vor mehr als einem halben Jahrhundert: Die wenigen Fahrwege sind aus Sand, winden sich in Serpentinen die Hügel hinauf. Meistens sind sie zu schmal, als dass zwei Autos aneinander vorbeikämen. Ein paar Olivenbäume ducken sich in die Täler, Gräser klammern sich in winzigen Mulden an die Kliffs, und von fast jedem Punkt der Insel aus ist das Meer zu sehen – ein gleichmäßiger, dunkelblauer Teppich. Dekorativ verteilt sind dort Segelyachten und Fischerboote unterwegs, während am Horizont ein Kreuzfahrtschiff vorbeizieht.
Über Nacht auf Cabrera bleiben dürfen neben den 42 Insulanern nur die wenigen Gäste der Pension, dazu Fischer, die mit ihren Booten auf Durchreise am kurzen Pier festgemacht haben. Und ein paar Privilegierte, die mit der Yacht kommen und in der geschützten Bucht von Es Port vor Anker gehen – sei es die eigene, sei es eine mitsamt der Besatzung gecharterte.
Maximal fünfzig Schiffe sind es, die nach Voranmeldung bei der Nationalparkbehörde ankern dürfen. Im Hochsommer nur für eine Nacht, in den Monaten davor und danach für maximal zwei Nächte, von Oktober bis Mai für bis zu eine Woche. Gut einen Monat im Voraus sollte man sich dafür anmelden, denn die Nachfrage nach den Lizenzen ist gerade im Sommer groß – nicht unbedingt wegen der Schinkenbrote und der Oliven, mehr wegen dieser unerwarteten Abgeschiedenheit.