Glaubensfreiheit an der Schule Richter stellen klar: Muslimische Schülerin darf mit Niqab in die Berufsschule

Hamburg · Die Freiheit des Glaubens ist im Grundgesetz geschützt. Wenn der Staat sie einschränken will, braucht er dafür eine rechtliche Grundlage. Das hat das Oberverwaltungsgericht Hamburg im Fall einer Schülerin klargestellt.

 Eine Frau trägt bei einer Demonstration gegen das Verbot einer Vollverschleierung in den Niederlanden einen Niqab. Symbolfoto.

Eine Frau trägt bei einer Demonstration gegen das Verbot einer Vollverschleierung in den Niederlanden einen Niqab. Symbolfoto.

Foto: dpa/Evert-Jan Daniels

Eine 16-jährige Berufsschülerin darf im Unterricht weiterhin einen so genannten Niqab tragen, der ihr Gesicht großteils verdeckt. Das ergibt sich aus einem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Hamburg. Es kippte auch in zweiter Instanz eine anders lautende Anordnung der zuständigen Schulbehörde. Diese hatte gegenüber der Mutter der Berufsschülerin angeordnet, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Tochter im Unterricht ihr Gesicht zeigt. Hiergegen hatte sich die Mutter mit einem Eilantrag gewendet, dem das Verwaltungsgericht in erster Instanz stattgab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Freien und Hansestadt Hamburg hat das Oberverwaltungsgericht mit dem heute veröffentlichten Beschluss zurückgewiesen (Az. 1 Bs 6/20).

Aus den Gründen der Entscheidung: Die vor Gericht erfolgreiche Mutter hat die alleinige elterliche Sorge für ihre derzeit 16-jährige Tochter. Diese hat von September 2009 bis Juni 2019 die Grundschule und anschließend eine Stadtteilschule bis zur Jahrgangsstufe 10 besucht und dabei den erweiterten ersten allgemeinbildenden Schulabschluss erworben. Im laufenden Schuljahr besucht die Tochter der Antragstellerin eine berufliche Schule. Während sie etwa ab der 6. Jahrgangsstufe der Stadtteilschule ein Kopftuch trug, trägt sie nun einen Niqab, einen Gesichtsschleier, der nur die Augen frei lässt. Sie weigert sich unter Berufung auf ihre Glaubensüberzeugung, den Niqab auf dem Schulgelände und im Unterricht abzulegen.

Nachdem Versuche der Schule gescheitert waren, im Rahmen von Gesprächen die Tochter der Antragstellerin zu veranlassen, den Niqab im Unterricht abzulegen, erließ die Schulbehörde einen für sofort vollziehbar erklärten Bescheid gegenüber der Antragstellerin. Darin wurde die Mutter aufgefordert, dafür zu sorgen, dass ihre Tochter ab dem 12. Dezember 2019 ohne Vollverschleierung auf dem Schulgelände erscheine und im Unterricht ihr Gesicht zeige; das Tragen eines Kopftuchs sei zulässig. Begründung: Die Schule habe sie (die Antragstellerin) wiederholt darauf hingewiesen, dass ihre Tochter nicht am Unterricht teilnehmen dürfe, solange diese ihr Gesicht vollständig verhülle. Im schulischen Bildungs- und Erziehungsprozess gehe es um mehr als um bloße Wissensvermittlung. Vielmehr müssten sich Schülerinnen und Schüler untereinander und mit den Lehrkräften auch so austauschen, dass eine volle Kommunikation möglich sei; dies könne nicht gelingen, ohne den Gesichtsausdruck des Gegenübers wahrzunehmen.

Gegen den Bescheid legte die Mutter Widerspruch ein und beantragte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs. Diesem Antrag gab das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. Dezember 2019 statt. Diese Linie bestätigte jetzt das Oberverwaltungsgericht in zweiter Instanz. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf verwiesen, dass es für die gegen die Mutter der Schülerin gerichtete Anordnung keine gesetzliche Grundlage gibt. Soweit sich die Behörde auf eine Vorschrift im Schulgesetz beruft, wonach die Eltern für die Teilnahme ihres Kindes am Unterricht verantwortlich sind, kann nicht pauschal angenommen werden, dass eine Schülerin, die einen Niqab trägt, nicht am Unterricht teilnimmt. Überdies steht der erlassenen Anordnung entgegen, dass die Behörde nach gegenwärtiger Rechtslage auch von der Schülerin selbst nicht verlangen kann, während des Schulbesuchs auf eine Gesichtsverhüllung zu verzichten. Die Schülerin kann für sich die im Grundgesetz vorbehaltslos geschützte Glaubensfreiheit in Anspruch nehmen. Eingriffe in dieses Grundrecht bedürfen einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage. Eine solche Grundlage sieht das hamburgische Schulgesetz gegenwärtig nicht vor, so die Richter. Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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