Haarverlust wegen Chemotherapie: Klinik muss Schmerzensgeld zahlen

Köln · Soll man nach einer Krebsoperation noch eine Chemotherapie machen? Trotz des möglichen Haarausfalles – den doch jeder sehen kann? Und wachsen die Haare auch wieder? Solche Fragen stellen viele Patienten den Ärzten. Die müssen umfassend antworten.

 SymbolbildLocation:Frankfurt:Oder

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Foto: Patrick Pleul/dpa


Ein wegweisendes Gerichtsurteil für Krebspatienten, die nach einer Operation über eine Chemotherapie nachdenken, kommt aus Köln. Das dortige Oberlandesgericht hat einer Patientin 20 000 Euro Schmerzensgeld wegen dauerhaften Haarverlusts nach einer Chemotherapie zugesprochen. Der Grund für die Verurteilung des betroffenen Krankenhauses ist aber nicht ein Behandlungsfehler. Die Klinik muss deshalb haften, weil die Ärzte die Frau nicht ausreichend über die Risiken des benutzten Medikamentes aufgeklärt hatten. Dessen Besonderheit lag darin, dass es nicht nur das Risiko eines lediglich vorübergehenden Haarausfalls hatte, sondern auch das eines dauerhaften Haarverlustes.

Die betroffene Patientin hatte sich wegen Brustkrebs im Krankenhaus operieren lassen. Bei der anschließenden Chemotherapie benutzten die Ärzte ein damals recht neues und besonders wirksames Medikament. Nach der Behandlung trat bei der Klägerin dauerhafter Haarverlust ein. Körperbehaarung, Wimpern und Augenbrauen fehlen seitdem fast vollständig. Das Kopfhaar wächst nur teilweise nach. Über dieses Risiko hatten die Ärzte der Klinik die Frau nicht aufgeklärt.

Das Oberlandesgericht hat - anders als das Landgericht in erster Instanz - darin einen Beratungsfehler gesehen. Begründung: Gemäß den vom Hersteller zum Behandlungszeitpunkt (2007/2008) veröffentlichten Fachinformationen für Ärzte habe die Gefahr bestanden, dass als Folge des Medikaments ein dauerhafter Haarausfall eintreten würde. Im Rahmen einer Studie hätte sich bei einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 55 Monaten bei 3,2 Prozent der Patientinnen dauerhafter Haarausfall eingestellt. Vor diesem Hintergrund, so die Richter weiter, sei die Klägerin vor Einleitung der Chemotherapie fehlerhaft aufgeklärt worden. Nach dem Erkenntnisstand, der für einen sorgfältigen, senologisch tätigen Gynäkologen bei Führung des Aufklärungsgesprächs und Beginn der Chemotherapie zu berücksichtigen war, hätte die Klägerin über das entsprechende Risiko aufgeklärt werden müssen.

Patienten müssten schließlich vor einer ärztlichen Behandlungsmaßnahme "im Großen und Ganzen" wissen, worauf sie sich einlassen. Über das Risiko eines dauerhaften Haarverlusts sei dabei auch dann aufzuklären, wenn es sich selten verwirkliche. Diese Komplikation würde nämlich, sofern sie eintritt, Patienten meist schwer belasten und daher für die Entscheidung für oder gegen eine Behandlung Bedeutung haben.

Dazu hatten die Richter die Frau nachdrücklich und lange befragt. Danach hielten sie es für plausibel, dass sich die Patientin im Fall einer vollständigen Aufklärung in einem "echten Entscheidungskonflikt" befunden hätte. Es sei nicht sicher, dass sich die Frau in diesem Abwägungskonflikt zwischen einer abstrakten höheren Überlebenswahrscheinlichkeit mit dem Medikament auf der einen Seite und dem geringen aber konkreten Risiko des dauerhaften Haarverlustes auf der anderen Seite für die Chemotherapie entschieden hätte. Insoweit greife der Einwand der Klinik, die Frau hätte sich so oder so für die Chemotherapie entschieden, nicht durch.
Das Krankenhaus müsse deshalb ein Schmerzensgeld zahlen. Bei dessen Höhe werde berücksichtigt, dass es bei der Frau wegen des Haarverlustes zu erheblichen und nachhaltigen psychischen Folgen und seelischen Belastungen gekommen ist. Die Revision gegen die Entscheidung ist nicht zugelassen worden. Das Urteil ist damit nur mit der Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof angreifbar (Az.: 5 U 76/14).

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