Grundrechte in der Krise Die bürgerlichen Freiheiten machen aus Angst vor dem Corona-Virus vorerst Pause

München/Saarlouis · Ausgangssperre, Kontaktsperre, Geschäfte zu, vor die Tür nur mit triftigem Grund. Die Bayern und die Saarländer sind bei der Einschränkung von Grundrechten in Zeiten von Corona ganz vorne. Vorerst zu Recht, sagen die zuständigen Gerichte.

 Ausgangssperre: Ein Polizist kontrolliert die Ortsein- und ausfahrt des Ortes Mitterteich in Bayern.

Ausgangssperre: Ein Polizist kontrolliert die Ortsein- und ausfahrt des Ortes Mitterteich in Bayern.

Foto: dpa/Nicolas Armer

Besondere Zeiten führen zu besonderen Maßnahmen. Das gilt für die nun bis Mitte April verlängerten Allgemeinverfügungen der Regierungen im Saarland und in Bayern, die jeweils im Kampf gegen Corana auf massive Einschränkungen der Grundrechte der Bürger setzen. Es gilt auch mit Blick auf die rechtliche Überprüfung dieser Maßnahme durch den Bayerischen Verfassungsgerichtshof, der bei Eilverfahren in schwierigen Zeiten nicht etwa unter Einbeziehung möglichst vieler kompetenter Richter entscheidet, sondern allein durch den Präsidenten des Gerichts. Dieser steht also aktuell für den Verfassungsgerichtshof. Und der hat es vergangene Woche abgelehnt, die Bayerische Verordnung über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie durch einstweilige Anordnung außer Vollzug zu setzen. Trotz der möglichen Grundrechtsverstöße überwiege nämlich im Moment das alles überragende Interesse am Schutz von Leib und Leben der Bevölkerung.

Mit ähnlicher Begründung hat auch das Verwaltungsgericht Saarlouis  am 30. März einen Eilantrag gegen die saarländische Allgemeinverfügung zu Corona abgelehnt. Es hat festgestellt, dass die getroffenen Maßnahme nicht offensichtlich rechtswidrig und insbesondere nicht unverhältnismäßig seien. Der Verlangsamung der Ansteckungsrate durch Vermeidung von sozialen Kontakten sei im Rahmen der entsprechenden Güterabwägung „entscheidende Bedeutung beizumessen, um eine Überlastung und einen Zusammenbruch des Gesundheitssystems, wie dies bereits in anderen europäischen Ländern festzustellen war, zu verhindern“. So weit das Verwaltungsgericht des Saarlandes.

Die schwersten Eingriffe in die Grundrechte der Menschen seit Gründung der Bundesrepublik bleiben also vorerst bestehen. Aus Angst vor dem Corona-Virus werden die bürgerlichen Freiheiten bis auf weiteres in Zwangspause geschickt. Angefangen hat das in Bayern. Die Details dazu und die rechtliche Begründung im Detail liefert der Bayerische Verfassungsgerichtshof in einer entsprechenden Pressemitteilung, die schon jetzt als wichtiges Dokument der Zeit und mögliche Blaupause für künftige Gerichtsentscheidungen anzusehen ist. Darin ist zu lesen:

Die vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege erlassene Verordnung halte die Menschen an, physische und soziale Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands zu reduzieren und räumlichen Abstand einzuhalten, sie untersage Gastronomiebetriebe jeder Art sowie Besuche bestimmter Einrichtungen und – beim Fehlen triftiger Gründe – das Verlassen der eigenen Wohnung.

Gegen dieses Regelungen wehrt sich ein Bürger. Der Antragsteller ist der Auffassung, die Verordnung greife in unverhältnismäßiger Weise in Freiheitsrechte der Bürger ein, die die Bayerische Verfassung garantiert. Er hat deshalb am 25. März 2020 Popularklage erhoben mit dem Ziel, dass die Verordnung vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig und nichtig erklärt wird. Zugleich will er mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erreichen, dass die angegriffene Verordnung sofort außer Vollzug gesetzt wird.

Der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, der in besonderen Eilfällen selbst zur Entscheidung berufen ist, hat den Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung am 26. März abgelehnt. Dazu heißt es in der entsprechenden Presserklärung vom folgenden Tag: Im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens könne bei der aufgrund der Eilbedürftigkeit nur möglichen überschlägigen Prüfung nicht von offensichtlichen Erfolgsaussichten, aber auch nicht von einer offensichtlichen Aussichtslosigkeit des Hauptantrags im Popularklageverfahren ausgegangen werden. Die Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung sei deshalb anhand einer Abwägung der möglichen Folgen bei verschiedenen, kontroversen Fallkonstellationen zu treffen.

Variante 1: Die beantragte einstweilige Anordnung wird nicht erlassen - aber später im Hauptsacheverfahren hat die Klage gegen die Anordnungen Erfolg. Die Folgen: Dann wären Gastronomiebetriebe mit entsprechenden wirtschaftlichen Folgen zu Unrecht untersagt und Personen zu Unrecht von den genannten Verhaltensweisen abgehalten worden. Ferner wären etwaige Verstöße letztlich zu Unrecht geahndet worden. Neben den Einschränkungen für die unmittelbaren Adressaten der Regelungen gebe es auch umfangreiche mittelbare Auswirkungen (beispielsweise auf Menschen, die sich in Einrichtungen aufhalten, die nicht besucht werden dürfen, wirtschaftliche Betriebe, die zwar geöffnet sind, wegen der Bewegungseinschränkungen aber weniger frequentiert werden etc.). All dies wiege schwer, insbesondere deshalb, weil es sich teilweise um tiefgreifende Grundrechtseingriffe handele, eine Vielzahl von Personen betroffen sei und die Eingriffe partiell irreversibel seien.

Variante 2: Die beantragte einstweilige Anordnung wird erlassen, allerdings hätte die Popularklage im Hauptsacheverfahren keinen Erfolg. Dann würde es mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Vielzahl von sozialen Kontakten kommen, die durch die Verordnung unterbunden werden sollen. Hierdurch würde die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus, der Erkrankung vieler Personen, einer Überlastung des Gesundheitssystems und schlimmstenfalls des Todes von Menschen erhöht. Nach der Risikoeinschätzung des Robert-Koch-Instituts, welcher der Bundesgesetzgeber für den Bereich des Infektionsschutzes besonderes Gewicht beimisst, werde insoweit die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland derzeit als insgesamt hoch eingeschätzt. Ziel müsse es deshalb sein, die weitere Ausbreitung des Virus so weit wie möglich zu verzögern. Angesichts der überragenden Bedeutung von Leben und Gesundheit der möglicherweise Gefährdeten überwiegen vor diesem Hintergund die Gründe gegen das Außerkraftsetzen der angegriffenen Verordnung. So das Fazit des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs in Sachen Grundrechte und Corona (Az.: Vf. 6 - VII - 20).

Mit ähnlicher Begründung hat kurz vor Ostern (07.04.) auch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe abgelehnt, die bayerischen Regelungen in einem Eilverfahren außer Kraft zu setzen. Motto hier wie dort: Wenn wir vorerst die von den Landesregierungen erlassenen Verbote bestehen lassen, dann schränken wir zwar bestimmte Grundrechte ein - aber wir schützen Menschenleben.

Im Moment und mit Blick auf Corona ist diese Abwägung zwischen Freiheitsrechten auf der einen und dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit auf der anderen Seite der Waagschale der Justitia sicherlich grundsätzlich richtig. Jedes menschliche Leben verdient den bestmöglichen Schutz. Wenn wir uns diesen Grundsatz auch später in den Zeiten nach Corona bewusst machen und dementsprechend im Sinn des Gemeinwohls handeln, dann brauchen wir bei der nächsten Pandemie vielleicht gar keine Einschränkung von Grundrechten zum möglichen Schutz von Menschenleben mehr.

Das wäre zu begrüßen. Denn eine solche Einschränkung von Grundrechten ist die schärfste Waffe des Staates gegen seine Bürger. Sie darf deshalb erst eingesetzt werden, wenn alle anderen Möglichkeiten nicht zum Ziel führen. Sie muss also immer das letzte Mittel eines demokratischen Rechtsstaates im Umgang mit seinen freien Bürgern sein. Sie muss eine gesetzliche Grundlage haben. Sie muss geeignet, erforderlich und maßvoll sein. Und genau darüber müssen wir auch mit Blick auf Corona und die aktuellen Auswirkungen noch mehr als ein Mal reden.

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