Fahrbericht Der Kleine kommt ganz groß in Fahrt

Brühl · Früher war der Nissan Micra der Langweiler unter den Kleinstwagen. Die jüngste Generation des Fernost-Longsellers aber zeigt Charakter und als „N-Sport“ hellt er den Alltag sogar mit richtigem Fahrspaß auf.

 Der Nissan Micra bietet in der aktuellen, fünften Generation fraglos die bisher attraktivste Form. Das Bild zeigt die N-Sport-Version.

Der Nissan Micra bietet in der aktuellen, fünften Generation fraglos die bisher attraktivste Form. Das Bild zeigt die N-Sport-Version.

Foto: Nissan

Luxus findet sich mittlerweile auch in der kleinsten Hütte. Tatsächlich: Über die Cockpit-Verkleidung im Nissan Micra in der feinen „N-Sport“-Variante streicheln nicht bloß diverse Co-Piloten gern. Auch als Fahrer ist man öfter mal versucht, das Multifunktionslenkrad des Micra loszulassen, damit die Finger über das handschmeichelnde Velours gleiten können. Fühlt sich gut an, sieht schick aus und verbannt sofort jeden Gedanken an sonstige Kleinwagen-Knauserigkeit.

In der gehobenen N-Sport-Version, die den Nissan Micra vom Basispreis 12 990 Euro (Visia) auf fast 20 000 Euro katapultiert, bekommt man zwar nach wie vor „nur“ ein kompaktes Auto. Aber mit viel Komfort, ausreichend Platz, einem fixen Motor und stets überzeugendem Fahreigenschaften.

Dafür nimmt der Dreizylinder aber auch mal einen Schluck mehr. Im Testzeitraum von zwei Wochen waren das, bei allerdings einigen schnellen Autobahntouren, im Schnitt 6,8 Liter Super pro 100 Kilometer. Bei 117 PS und möglichen 195 km/h Spitze präsentiert sich damit fraglos trotz Start-Stopp-Automatik kein Sparweltmeister, dennoch ist dieser Verbrauch akzeptabel. Auch wenn er deutlich über dem von Nissan selbst genannten Schnitt von 5,0 Litern liegt. Nach wie vor gleichen die Verbrauchsangaben der Hersteller Märchen aus Tausendundeiner Nacht.

Drei Jahre ist es her, dass Nissan die aktuelle, fünfte Generation, seines Kleinwagens vorstellte. Fraglos die attraktivste Form bisher. In seinen Frühzeit, 1982 feierte man Premiere, war der Japan-Knirps bloß ein kastiger Langweiler. Um die 2000er Jahre hätte der Micra dann als knubbeliges Pummelchen sogar Chancen auf die Top Ten der hässlichsten Autos der Welt gehabt.

Jetzt aber macht der Micra auf dynamisch: ein Donner-Keil mit Kanten wie von einem Manga-Zeichner konturiert und markantem Grill. Dazu hat man die hinteren Türen mit hochgesetzen Öffnern quasi wegretuschiert, ein Designkniff, der schon beim Alfa 156 Wunder wirkte. Und auch der Micra wirkt in der Seitenansicht wie ein Coupé – eleganter also als ein üblicher Fünftürer. Die eigentlich sinnlosen Sicken in den Seiten und die extrem auskragenden Rückleuchten allerdings muss man sich erst mit drei, vier Sake schön trinken. Und die Rückscheibe geht bestenfalls noch als Sehschlitz durch. Trotzdem, der aktuelle Micra ist auf jeden Fall ein Typ.

Was aber (mehr) zählt, sind ja bekanntlich die inneren Werte. Und wie ein VW Golf in der Klasse darüber schafft der Nissan Micra bei den Kompakten ein Raumwunder. Mit exakt einem Millimeter weniger als vier Metern Länge und 1,74 Meter Breite kann man beherzt in all die Parklücken vorstoßen, bei denen SUV-Besitzer kapitulieren. Trotzdem sitzen auch vier 1,80-Meter-Menschen im Micra noch bequem, selbst während einer längeren Fahrt. Vorne hat man sogar dank der vorgezogenen A-Säule Van-Gefühle, sitzt luftig.

Fünf Passagiere kann man dem Micra allerdings schon wegen der geringen Zuladung nicht zumuten. Außerdem ginge es dann auf der Rückbank so eng zu wie zu Stoßzeiten in der Tokioter U-Bahn. Das Gepäckabteil steckt aber ganz erstaunlich viel weg: Vier Sprudelkisten passen rein, auch Taschen (Koffer sind zu sperrig) für einen kürzeren Urlaub. Wer nicht gerade Surfbretter transportieren will, bringt in dem vom 300 auf gut 1000 Liter erweiterbaren Kofferraum viel unter. Ein Manko bleibt die Ladekante, die aber bei Autos dieser Klasse oft konstruktionsbedingt notwendig ist, damit die Karosserie genug Crashsicherheit bietet.

Der Micra N-Sport offeriert nicht nur Platz selbst für längere Reisen, er überzeugt auch mit ausgewogenen Fahreigenschaften. Angenehm direkt in der Lenkung wirkt er auf kurvigen Strecken agil, lässt sich auf den 17-Zoll-Leichtmetallrädern präzise pilotieren, aber auch auf schnellen Autobahnpassagen kommt keine Nervosität auf. Manche Querfuge schlägt zwar hart durch, das Fahrwerk informiert denn auch prompt über den Wartungsstau auf deutschen Fernstraßen.

Aber die bequemen Sitze sowie die gute Dämmung und eine Top-Verarbeitung helfen im Kapitel Fahrkomfort beim Punktesammeln. Und ein Notbremsassistent, aktive Spurkontrolle sowie Kopf- und Seitenairbags sorgen dafür, dass man sich selbst in diesem Kleinwagen sicher fühlt.

Auf dem Papier ist der Motor des Nissan Micra N-Sport zwar ein Zwerg: 999 ccm und drei Zylinder. Doch stemmt er mit Overboost immerhin 200 Nm (sonst 180 Nm). Und dank des prima flutschenden Sechs-Gang-Getriebes hat man viel Spaß daran, den Japan-Flitzer auf Touren zu halten. Er hängt immer gut am Gas; selten kommt da mal ein Man-bräuchte-eigentlich-mehr-Gefühl auf.

 Die im Innenraum des Micra verwendeten Oberflächen schmeicheln der Hand. Mit der sonstigen Kleinwagen-Knauserigkeit hat das nichts zu tun.

Die im Innenraum des Micra verwendeten Oberflächen schmeicheln der Hand. Mit der sonstigen Kleinwagen-Knauserigkeit hat das nichts zu tun.

Foto: Nissan
 Die extrem auskragenden Rückleuchten des Micra treffen nicht jedermanns Geschmack. Das gilt auch für die eigentlich sinnlosen Sicken in den Seiten.

Die extrem auskragenden Rückleuchten des Micra treffen nicht jedermanns Geschmack. Das gilt auch für die eigentlich sinnlosen Sicken in den Seiten.

Foto: Nissan

Das gilt auch fürs Infotainment. Zwar ist bei 20 000 Euro Kaufpreis kein Navi an Bord (viele vertrauen ja sowieso lieber dem eigenen Smartphone), ansonsten aber muss man vom Sieben-Zoll-Display und Digitalradio über die Schnittstelle für Smartphone und den USB-Eingang bis zum allerdings klanglich enttäuschenden Bose-Sound-System nichts vermissen. Der Nissan Micra N-Sport ist zwar äußerlich nur ein Kleiner, aber man kann mit ihm groß in Fahrt kommen.

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