Psychologie Narzissten am Steuer ohne Skrupel

Hannover · Lichthupe, drängeln, Vorfahrt nehmen, daran erkennt man einen narzisstischen Fahrstil. Was aber steckt hinter diesem Verhalten?

 Narzisstisch veranlagte Menschen halten sich in der Regel für besonders gute Autofahrer. Daher beanspruchen sie Sonderrechte für sich und gebärden sich hinterm Steuer besonders aggressiv.

Narzisstisch veranlagte Menschen halten sich in der Regel für besonders gute Autofahrer. Daher beanspruchen sie Sonderrechte für sich und gebärden sich hinterm Steuer besonders aggressiv.

Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb/Marcus Führer

Ein Experiment im Fahrsimulator konfrontierte 60 Studenten in den USA mit typischen Situationen im Straßenverkehr: Mal nahm ihnen jemand die Vorfahrt, mal standen sie im Stau oder warteten ewig vor einer Ampel. Dabei ließ das Forschungsteam die Studenten glauben, dass manche der anderen Autos ebenfalls von Versuchspersonen gesteuert wurden. Daraufhin drängelten und schimpften einige der Studenten oder verursachten sogar virtuelle Unfälle. Darunter waren vor allem jene, die zuvor in einem Fragebogen einen Hang zum Narzissmus offenbart hatten. Ein Narzisst hat ein überschwänglich positives Selbstbild, ist übermäßig selbstverliebt, braucht ständig Aufmerksamkeit für die eigene Selbstbestätigung und strebt nach Dominanz.

„Narzissten fahren deshalb so aggressiv, weil sie für sich Sonderrechte beanspruchen“, erklärt Studienleiter Brad Bushman von der Ohio State University. Seit rund 30 Jahren erforscht der Sozialpsychologe die Ursachen von Aggressionen. Ihm zufolge glauben narzisstische Menschen, die Straße gehöre ihnen. Sie fühlten sich berechtigt, so zu fahren, wie es ihnen beliebt.

Narzissmus kann im Extremfall zu einer Störung werden und zu Problemen mit anderen Menschen führen, sagt der Psychologe Ralf Buchstaller vom Tüv Nord, der als Gutachter am medizinisch-psychologischen Institut in Kiel arbeitet. Zunächst einmal handle es sich aber um ein Persönlichkeitsmerkmal wie jedes andere auch. Bei der einen Person ist Narzissmus mehr, bei der anderen weniger ausgeprägt. Überdurchschnittlicher Narzissmus könne durchaus positive Seiten haben, Durchsetzungsfähigkeit zum Beispiel.

„Doch je narzisstischer jemand ist, desto stärker ist seine Selbstbezogenheit und seine Überzeugung, anderen überlegen zu sein“, erläutert Buchstaller. „Und damit wächst das Risiko für Regelverstöße am Steuer.“ Die US-Fachgesellschaft für Psychologie, Association for Psychological Science, zählt gefährliches Fahren und Ärger auf andere, die den Weg nicht frei machen, sogar zu den Markenzeichen von Narzissten. Narzissmus sei eine Gefahr für den Straßenverkehr, warnt die Gesellschaft.

Vor allem unter Männern ist ein narzisstischer Fahrstil verbreitet. Bei einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Unfallforschung der Versicherer gab 2016 mehr als jeder vierte Autofahrer zu, sich manchmal die Vorfahrt zu erzwingen. Jeder Dritte räumte ein, auf Linksfahrer dicht aufzufahren, damit sie die Überholspur freimachen. „Das ist typisch für Menschen, die die Straße für ihr Territorium halten und ihre Ansprüche durchsetzen wollen“, erläutert Ralf Buchstaller. „Sie halten ihren Ärger und ihr Fehlverhalten für gerechtfertigt, weil sie meinen, ihre Freiheit werde unzumutbar eingeschränkt.“

Was also tun, wenn man einem Narzissten begegnet? „Erziehungsversuche im Straßenverkehr sind riskant“, warnt Buchstaller. Bei einer narzisstischen Persönlichkeit sei damit zu rechnen, dass sie ihre Ansprüche auf Sonderbehandlung durchsetzen wolle. Daher sei es allemal klüger, Abstand zu halten.

Anders als Narzissten bekommen zuverlässige und verträgliche Charaktere im Schnitt weniger Knöllchen, sagt der Tüv Nord. Die ehrlichen und bescheidenen Autofahrer sind seltener zu schnell und greifen beim Fahren weniger nach ihrem Mobiltelefon.

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