Im Formel-1-Geschoss durch die Alpen

Timmelsjoch · Nelson Piquet Jr. fährt am Alpenpass Timmelsjoch die Rennwagen seines berühmten Vaters, darunter einen 970 PS starken Formel-1-Boliden. Ermöglicht hat dieses Spektakel Piquets Freundin als Geschenk zu seinem 31. Geburtstag.

 Einen Formel-1-Wagen auf dem Timmelsjoch in den Alpen sieht man nicht alle Tage. Der Rennfahrer Nelson Piquet Jr. durfte dort als Geburtstagsgeschenk den alten Rennwagen seines Vaters fahren.

Einen Formel-1-Wagen auf dem Timmelsjoch in den Alpen sieht man nicht alle Tage. Der Rennfahrer Nelson Piquet Jr. durfte dort als Geburtstagsgeschenk den alten Rennwagen seines Vaters fahren.

"Wir haben den Iceman aufgetaut." Virgilia Landrain ist hocherfreut. Ihr Lebensgefährte Nelson Piquet Jr. habe gerade am Fuße des 2509 Meter hohen Timmelsjochs mehr gelächelt als in seinem ganzen Leben zuvor. Nelson Piquet Jr., der als "Iceman" geltende brasilianische Rennfahrer und Sohn des gleichnamigen dreifachen Formel-1-Weltmeisters, hat gerade erfahren, dass er oberhalb des Ötztals sechs Ex-Boliden seines weltberühmten Vaters testen darf. Allen voran den 970 PS starken Brabham-BMW BT-52, mit dem der ältere Piquet 1983 erster Turbo-Weltmeister der Formel 1 wurde. Das Ganze noch dazu am Timmelsjoch , einem der berühmtesten Alpenpässe.

Was den Iceman auftauen lässt, versetzt Passanten zwischen dem österreichischen Hochgurgl und dem italienischen Meran in ungläubiges Staunen. Ohrenbetäubender Lärm dröhnt auf die Trommelfelle, als der 285 PS starke Reihensechszylinder des Tourenrennwagens BMW 635 CSi anspringt. Eine deutliche Steigerung folgt, als das baugleiche, aber sogar 470 PS starke Kraftpaket im BMW M1 Procar zum Leben erwacht.

Zwar reizt Piquet Jr. mit Freundin Virgilia auf dem Beifahrersitz nur gut 200 km/h der möglichen Spitzengeschwindigkeit von 310 km/h am Alpenpass aus, dennoch durchlebt die charmante Belgierin Himmel und Hölle bei der zehnminütigen Fahrt über die zwölf Kilometer lange Nordseite des Timmelsjochs. "Ich habe immer wieder geschrien", erzählt sie aufgewühlt, "aber er hat mich gar nicht wahrgenommen, so sehr genoss er es, den Rennwagen seines Vaters zu fahren."

Danach sind Rennwagen ohne Straßenzulassung an der Reihe. Seit 20 Uhr ist der Alpenpass für den öffentlichen Verkehr gesperrt, und seitdem steigern sich die Fahreindrücke beider Passagiere. Nelson Piquet Jr. zeigt sich tief beeindruckt von den Boliden, mit denen sein Vater einst Triumphe feierte: "Unfassbar, was die Piloten damals geleistet haben."

Auch der Formula-E-Champion von 2015 kommt nicht ohne Einweisung mit den bis zu 36 Jahre alten Rennboliden zurecht. Das Personal der BMW Group Classic erklärt ihm die Schaltung des Le-Mans-Renners McLaren BMW F1 GTR von 1997, denn die funktioniert exakt andersherum als üblich, sowie die extrem fordernde Kulissen-Schaltung im 480 Kilogramm schweren Formel-1-Renner BT-52 mit 970 PS starkem 1,5-Liter-Vierzylinder-Turbomotor.

"Ich bin froh, dass ich zu meiner Formel-3-Zeit noch mit Ähnlichem in Kontakt kam. Jüngere Fahrer, die heute nur Schaltwippen gewohnt sind, kämen damit sicher nicht zurecht." Das surreale Schauspiel am Timmelsjoch setzt sich fort, als Nelson Piquet Jr. bei immer mehr Regen im wahrsten Sinne eine Spritztour hinlegt: im 604 PS starken, ultraflachen Le-Mans-Auto. Bei gewagten Power-Drifts durchbrechen die Lichtkegel des kreiselnden V12-Rennautos den prasselnden Regen und aufziehenden Nebel. Piquets Power-Trip im Formel-1-Renner wird auf den nächsten Morgen vertagt. Um 5.45 Uhr ist es bereits hell genug, um den ersten Weltmeister-Turbo der Formel 1 anzuwerfen. Die Mannschaft von BMW Classic hat die hochkomplizierte, 33 Jahre alte Hightech voll im Griff, selbst in bis zu 2509 Metern Höhe. So weit über Meeresspiegel ist kaum jemals ein Formel-1-Bolide dahingedonnert.

Im einsitzigen Brabham-BMW ist kein Platz für Virgilia. Mit 970-Turbo-PS im Nacken rast Nelson Piquet Jr. mit bis zu 220 km/h die lange Gerade entlang, die das fast ständige Kurvengewirr am Timmelsjoch unterbricht. Kein Tempo für den Formel-1-Renner, der 340 km/h Spitze schafft, jedoch atemberaubender Speed für diese Umgebung, haarscharf vorbei an Felsen und Leitplanken.

Danach windet sich der 1,77 Meter große Brasilianer aus dem hauteng geschnittenen Cockpit des BT-52 und schwärmt von beiden Test-Tagen. "Es war einfach unglaublich, all diese Rennwagen vor dieser einzigartigen Kulisse fahren zu können. Vor allem der Brabham, der ist sicherlich zehnmal schwerer zu fahren als heutige Rennautos. Die schwierige Schaltung, die extreme Power. Trotzdem sind alle Fahrzeuge meine Favoriten. Ich habe jedes Fahrzeug seit meiner Kindheit als Automodell gesammelt."

Bis zuletzt hatte Nelson keinen blassen Schimmer, dass er oberhalb von Hochgurgl das Formel-1-Weltmeisterauto seines Vaters würde fahren können, ein unbezahlbares Einzelstück. Wie außergewöhnlich dies ist, bestätigt BMW-Classic-Manager Norbert Knerr: "Solche Rennautos auf einer derartigen Straße, das haben wir bisher noch nie gemacht."

 Sechs Fahrzeuge aus verschiedenen Rennwagenklassen zirkelte Nelson Piquet Jr. übers Timmelsjoch. Fotos: Mutschler/BMW (2), Schütze

Sechs Fahrzeuge aus verschiedenen Rennwagenklassen zirkelte Nelson Piquet Jr. übers Timmelsjoch. Fotos: Mutschler/BMW (2), Schütze

 Nelson Piquet Jr. und seine Freundin Virgilia Landrain.

Nelson Piquet Jr. und seine Freundin Virgilia Landrain.

Auch die Haupteigentümer der Hochalpenstraße, Attila und Alban Scheiber, sind von der Aktion begeistert. "So etwas haben wir hier noch nicht erlebt", schwärmt Alban Scheiber, "der Sound und die Dynamik des Brabham-BMW sind einfach unfassbar." Kein Wunder: Bei nur 480 Kilogramm Gewicht bringen rund 970 PS im BT-52 ein deutlich besseres Leistungsgewicht als in heutigen Formel-1-Autos.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort