Automobil Die vielen Leben einer Ente

Brüggen · Die Diplom-Ingenieurin und 2CV-Liebhaberin Britta Becker hat sich auf die Reparatur und Restaurierung alter Citroëns spezialisiert.

 Britta Becker betreibt in Brüggen den „Treffpunkt Citrön“, einen zertifizierten Fachbetrieb für historische Fahrzeuge. Besonders zu schätzen wissen die Kunden den der Werkstatt angeschlossenen Ersatzteilhandel.

Britta Becker betreibt in Brüggen den „Treffpunkt Citrön“, einen zertifizierten Fachbetrieb für historische Fahrzeuge. Besonders zu schätzen wissen die Kunden den der Werkstatt angeschlossenen Ersatzteilhandel.

Foto: Gundel Jacobi

Nordwestlich von Mönchengladbach liegt nahe der niederländischen Grenze die Burggemeinde Brüggen. Im dortigen Industriegebiet ist eine Firma daheim, die jenseits von digitalen Zeitgeist-Allüren Dienste hochqualifizierter Handwerkskunst leistet: „Treffpunkt Citrön“ heißt der zertifizierte Fachbetrieb für historische Fahrzeuge.

Klassische 2CV, 11CV und HY tuckern durchs Werkstatttor direkt in die pflegenden Hände von Oliver vom Berg und Britta Becker. „Wir haben mit der Werkstatt samt Ersatzteilhandel eine einzigartige Kombination in Deutschland“, sagt Becker und schaut auf die französischen Patienten in ihren beiden Hallen. „Über mangelnde Arbeit können wir nicht klagen, das Kulturgut Ente hat für die Besitzer eine enorme Bedeutung.“

Die Diplom-Ingenieurin weiß, wovon sie spricht, denn ihre eigene Geschichte mündete beinahe zwangsläufig in die Welt der 2CV-Bewahrer. Schon als Kind fühlte sie sich zu Autos hingezogen. Kein Wunder, ihre Eltern galten als Autonarren, sie hatten zudem einen Sinn für Oldtimer und nahmen die kleine Britta mit zu Rallyes der bejahrten Karossen. Während im Umfeld der automobilbegeisterten Heranwachsenden eine Tendenz zu „Hauptsache tiefer, schneller, breiter“ entstand, kristallisierte sich bei ihr eine Art Gegenpol heraus: „Ich war fasziniert von der Ente.“

Zu ihrem 18. Geburtstag schenkten ihr die Eltern ein klokachelblaues 2CV-Exemplar. Tatsächlich zog sie sich umgehend von der fröhlichen Festgemeinde zurück. Aber statt sich samt frisch erworbenem Führerschein auf eine ausgiebige Spritztour zu begeben, begann sie zu schrauben und das Fahrzeug zu zerlegen. „Die Ente ist relativ einfach aufgebaut, aber der Teufel steckt im Detail.“

Deshalb nimmt mittlerweile die Beratung im Treffpunkt Citrön die Hälfte der Arbeitszeit ein – häufig am Telefon und in den vier Sprachen deutsch, englisch, französisch und niederländisch. Viele Besitzer dieser oftmals mit einem H-Kennzeichen versehenen Schätzchen legen noch selbst Hand an. Sie schätzen die intensiven fachlichen Auskünfte samt Material aus Brüggen. Auch einige Frauen, die ihre Enten in Eigenarbeit flott halten, sind darunter.

Grundsätzlich muss dabei überlegt werden, ob Original- oder Nachbau-Ersatzteile verwendet werden sollen. Die Argumente gilt es laut Becker gut abzuwägen. Braucht ein Kunde beispielsweise einen neuen Kotflügel, steht erst mal die Frage im Raum, ob ein H-Kennzeichen erhalten bleiben soll und somit das Originalteil oberste Priorität hat. Obendrein ist ein solches wegen seiner Genauigkeit viel schneller anzupassen als ein Nachbau, wenngleich es rund viermal so teuer ist.

Die Spezialisten in Brüggen kommen an ihre Ersatzteile dank weltweiter Kontakte. „Wir haben auch diverse Originalteile in Tütchen und lassen sie gezielt nachbauen.“ Britta Becker schüttelnd lachend den Kopf bei der Frage, aus wie vielen Teilen ein 2CV besteht: „Das hätte ich damals bei meiner Geburtstagsente dokumentieren müssen. Heute fehlt mir dazu die Zeit.“

Der Handel ist eine wesentliche Facette im Treffpunkt Citrön, das Kerngeschäft besteht in der eigenen Werkstattarbeit. Dabei ist es schon ein Augenschmaus, sich die historischen Werkzeuge anzuschauen: von der Achsschenkelbolzengarnitur über einen altertümlich anmutenden Batterieladeanzeiger bis hin zum Motorkompressionsset in einer betagten Holzkiste. Nicht nur die damit verbundenen Gerüche sind aus einer anderen Welt.

Selbst wenn es vom Prinzip her sich wiederholende Tätigkeiten gibt, um Routinearbeit handelt es sich bei den individuellen Schätzchen keinesfalls. Auch nicht bei einem aktuell anwesenden Deux-Chevaux-Exemplar, dessen Lenkung überholt werden soll. Der Kunde hat seine Ente in ein Elektrofahrzeug und damit in eine Besonderheit verwandelt.

Alle drei Monate verlässt ein restauriertes Fahrzeug wieder den Hof. Eine Komplettrestaurierung dauert bis zu zwei Jahre. Sofern es die Zeit zulässt, nehmen die beiden Liebhaber der französischen Oldtimer auch mit großer Freude an manchen der zahlreichen Rallyes teil. Ein gesetzter Termin ist natürlich das alle zwei Jahre stattfindende Ententreffen, zu dem 2CVs aus aller Welt herbeischnattern. Im August 2019 steht mit der Citroen-Hundertjahrfeier ein spezielles Datum in Kroatien an.

Machen sich die Brüggener Tüftler in Zeiten wachsender Elektromobilität Sorgen um ihre berufliche Zukunft? Die Diplom-Ingenieurin muss keine Sekunde überlegen: „Solch ein traditionelles Auto wie die Ente hat bis in alle Ewigkeit Hochkonjunktur – mit unserer Hilfe und Leidenschaft.“ Den Sprung in die Neuzeit hat Becker mit einem souveränen Schachzug vollzogen, denn vor der Tür steht fahrbereit eines der letzten DS-Exemplare in Grau aus dem Jahre 1973 (DS, französisch „déesse“, die Göttin), daneben ein nagelneuer weißer DS7 Crossback. Das Treue-Bündnis zwischen den Göttinnen hält offenbar über Jahrzehnte.

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