Ausbau möglich Der Stromer aus dem Baukasten

Stuttgart   · Geburtstagsüberraschung: Fiat testet zum 120. Geburtstag mit dem Modell Centoventi frische Ideen für den Nachwuchs.

 Mit der Designstudie Centoventi will Fiat den Nachwuchs fürs Autofahren begeistern. Das Modell kann nach dem Baukastensystem  erweitert werden.

Mit der Designstudie Centoventi will Fiat den Nachwuchs fürs Autofahren begeistern. Das Modell kann nach dem Baukastensystem  erweitert werden.

Foto: fiat/Hardy Mutschler

Manchen kommen die besten Ideen im Halbschlaf am frühen Morgen, andere sitzen gemütlich in inspirierender Runde zusammen und lassen ihren Gedanken freien Lauf. Letzteres erlebte Fiat-Markenchef Olivier François mit Fiat-Chefdesigner Klaus Busse, der heute noch ganz aus dem Häuschen ist, wenn er davon berichtet: „Wir diskutierten beim Abendessen über Elektromobilität. Im Vordergrund stand die Vision, ein möglichst individuelles Fahrzeug zu entwickeln, das schlank produziert werden soll und das sich auch Kunden mit einem schmaleren Geldbeutel leisten können.“

Das Ergebnis verblüfft. Busse zeigte die Konzeptstudie erstmals auf dem Genfer Autosalon und kürzlich auch in Stuttgart – unter anderem vor einer Schar Studenten. Die Kundschaft von morgen zeigte sich angetan. Das sei „ein cooles Auto“. Das Beste daran sei, dass die Akkus zum Aufladen ins Zimmer mitgenommen werden können.

Der 3,68 Meter lange Kleinwagen soll bei voller Ladung bis zu 500 Kilometer weit kommen. Mit einem Akku-Block beträgt die Reichweite rund 100 Kilometer. Insgesamt können vier Akkus in einer Schiene unter dem Fahrzeugboden und ein weiterer unter dem Fahrer- und Beifahrersitz verstaut werden. Der in Sitznähe befindliche Stromspeicher lässt sich herausnehmen und ähnlich wie ein Reise-Trolley hinter sich herziehen – bis in die Wohnung, wo er an der Steckdose geladen werden kann. Dafür ist weder eine Ladesäule noch eine Garage mit entsprechendem Anschluss notwendig.

Design ist bekanntermaßen Geschmackssache, zweifellos gehört aber Fiat zu den Herstellern, die einem großen Erbe und ebensolchen Erwartungen verpflichtet sind. Das äußere Erscheinungsbild eifert in seiner kastenförmigen Zeichnung dem Panda nach – auf den ersten Blick kein futuristischer Entwurf. Allerdings liegt die Pfiffigkeit auch hier im Detail. Zum einen gibt es den Stromer nur in der matten, silbergrauen Karosseriefarbe, die laut Busse außerordentlich viel UV-Licht reflektiert. „An heißen Tagen gelingt es damit, den Innenraum um gefühlt bis zu zehn Grad unter der Außentemperatur zu halten. Das macht der Klimaanlage weniger Arbeit.“ Zum anderen sind Dach, Stoßfänger und Radabdeckungen wie in einem Baukastensystem unterschiedlich zusammenzustellen und im Laufe der Jahre problemlos auszutauschen. Wer besonders auffällig sein möchte, beklebt seinen Kleinen mit entsprechenden Folien. Wahlweise könnte auf dem Dach ein Solarmodul Sonne tanken oder ein Stoffdach für Cabrio-Gefühle sorgen.

Wie bei Mercedes-Benz und seinem zukunftsträchtigen Experimentalfahrzeug ESF präsentiert wurde, kann auch der Centoventi auf einem Bildschirm am Heck Botschaften übermitteln. Selbst wenn dieses aus Rechtsgründen derzeit noch reine Utopie ist: Warum sollte der italienische Hüpfer nicht eines Tages derart verkünden, dass zwei Plätze zum Mitfahren frei sind? Die gegenläufig öffnenden Türen ohne mittlere Dachsäule eröffnen einen komfortabelen Zugang ins Innere. Dort fallen die Sitze aus durchgefärbtem, wasserfestem Kunststoff auf – laut Busse wäre eine fein durchlöcherte Struktur denkbar, die für Durchlüftung während der Fahrt sorgt: „Selbst minimale Bewegungen der Sitzauflagefläche lassen einen gewissen Luftaustausch zu.“

Überall im Centoventi lauern Aufstecksysteme – entlang der Armaturentafel, an den Türverkleidungen und sogar auf der verschiebbaren Rückbank. Hinter diesen gelochten Flächen steht ein schlaues Geschäftsmodell: Zubehörteile wie kleine Deko-Artikel, Becherhalter oder individuelle Ablagefächer bis hin zu Lautsprechern werden nach eigenen Vorlieben bestellt und befestigt. Angedacht ist überdies, dass verschiedene Einzelteile, ebenfalls nach eigenen Ideen und Vorlieben auf einem 3D-Drucker selbst hergestellt werden können.

Zur Disposition steht der Beifahrersitz. Denn dort kann eine Hundebox, ein Kindersitz oder ein Koffer zeitweilig Platz finden. Das Beste daran: Nichts muss sofort beim Kauf entschieden werden. Alles lässt sich ohne großen Aufwand nachrüsten oder austauschen. Geht es nach dem Willen der Fiat-Zukunftsdenker, entsteht gar ein blühender Handel innerhalb der Centoventi-Gemeinschaft. Mehr personalisierte Offenheit geht kaum.

 Eine Batterie sitzt beim Fiat Centoventi unter dem Beifahrersitz.

Eine Batterie sitzt beim Fiat Centoventi unter dem Beifahrersitz.

Foto: fiat/Hardy Mutschler

Fazit: Die Vision des Centoventi, der sinnigerweise nach der Jubiläumszahl benannt ist, könnte vergleichsweise preisgünstig umgesetzt werden. Auch einem gefühlsmäßigen Zugang zur potenziellen Kundschaft steht nichts im Wege. Bleibt zum Schluss nur die Frage, deren Antwort einer mutigen Entscheidung bedürfte: Wird es der Fiat Centoventi jemals in die Serie schaffen?

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