Audi lässt das Turboloch verschwinden

Ingolstadt · Audi erprobt einen elektrisch angetriebenen Verdichter. Er vermeidet das Turboloch und den klassischen Kompressor mit seinen hohen Kosten. Das elektrischer Biturbo genannte System geht demnächst in Serie.

 Audi erprobt den Elektro-Verdichter im A6 TDI concept (Bild) und im RS5 TDI concept. Foto: Audi

Audi erprobt den Elektro-Verdichter im A6 TDI concept (Bild) und im RS5 TDI concept. Foto: Audi

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Nach Turbolader und Direkteinspritzung, nach Start-Stopp-System und Rückgewinnung von Bremsenergie (Rekuperation) bereitet Audi den nächsten Geniestreich für seine Motoren vor: einen elektrisch angetriebenen Kompressor. Er tritt nur bei niedrigen Drehzahlen und nur kurz in Aktion und lässt jedes Turboloch verschwinden.

Dieses Turboloch ist die Achillesferse aller Turbomotoren. Deren Lader besteht aus einer Turbine (daher der Name Turbo), die von den Auspuffgasen in Drehung versetzt wird. Sie treibt das Verdichterrad, das Luft in den Motor drückt. In ihn gelangt so mehr Luft, als er selbst ansaugen könnte. In die Luft wird mehr Kraftstoff eingespritzt: Leistung und Drehmoment steigen.

Dies funktioniert freilich nur, wenn genügend Auspuffgase anfallen. Niedrige Drehzahlen bringen aber nur geringe Mengen. Gibt der Fahrer Gas, muss erst der Motor mehr Auspuffgase erzeugen. Sie bringen die Turbine auf Trab. Während der ersten Zehntelsekunden passiert wenig bis nichts: Der Motor fällt ins Turboloch.

Kompressormotoren kennen ein solches Loch nicht. Ihr Lader erzeugt Druck bereits ab Leerlaufdrehzahl, denn er wird vom Motor angetrieben. Das schluckt freilich gleich wieder einen Teil der Mehrleistung.

Der Volkswagen-Konzern ließ sich als Ausweg Twin-Charger einfallen: Die 1,4-Liter-TSI-Motoren ab 140 PS hatten zusätzlich zum Turbolader einen Kompressor. Er sorgte bei niedrigen Drehzahlen für Druck, bei höheren übernahm der Turbolader. Der Kompressor wurde dann wieder abgeschaltet. Die doppelte Aufladung erforderte großen Aufwand, heute wird der Turbo allein eingesetzt.

Audi greift jetzt eine nahe liegende Idee auf: Ein Elektromotor bringt das Verdichterrad in Schwung, beim Gasgeben in einer Viertelsekunde bis auf 72 000 Umdrehungen pro Minute. Wie beim mechanisch angetriebenen Kompressor steht Druck fast ab Leerlaufdrehzahl zur Verfügung, der verlustreiche Antrieb per Keilriemen aber entfällt.

Im untersten Drehzahlbereich, zwischen 1000 und vielleicht 1800 Umdrehungen pro Minute, wenn sich herkömmliche Turbos bei plötzlichem Gasgeben schwertun, lässt der Elektro-Kompressor das Drehmoment beim Drauftreten viel rascher ansteigen.

Die Idee ist nicht neu, verwirklichen ließ sie sich bisher nicht. Denn der Elektromotor braucht etwa sieben Kilowatt. Sie überfordern heutige 12-Volt-Systeme. Audi plant den E-Lader daher zusammen mit einem neuen Bordnetz, das zumindest in Teilen mit 48 Volt arbeitet. Es bietet Vorteile zum Beispiel auch für elektrische Heizelemente, für die Klimaanlage oder die Rekuperation. Es ermöglicht darüber hinaus besonders einfache und preiswerte Hybrid-Lösungen.

Für die Beleuchtung, fürs Radio gibt es ein zweites Netz mit den gewohnten 12 Volt. Den gesamten Stromhaushalt belastet die elektrische Lösung nur wenig. Sie tritt nur beim heftigen Gasgeben aus niedrigen Motordrehzahlen in Aktion. Bei höheren Touren arbeitet der normale Turbolader allein, die Elektrik bleibt abgeschaltet.

Audi nennt seine neue Idee werbewirksam, freilich physikalisch nicht ganz richtig "elektrischen Biturbo" ("zwei Turbolader"), denn der Elektro-Lader ist eben kein Turbo. Erprobt wird er sogar in zwei Spielarten. Im A6 TDI concept unterstützt er den konventionellen Turbolader. Der 3,0-Liter-V6 leistet so 326 PS/240 kW, sein höchstes Drehmoment von 650 Nm gibt er ab 1500 U/min ab. Im sechsten Gang beschleunigt der A6 von 60 auf 120 km/h in 8,3 statt sonst in 13,7 Sekunden.

Im RS5 TDI concept arbeitet der E-Verdichter sogar mit einem Doppelturbo zusammen. Eigentlich müsste man von "elektrischem Triturbo" sprechen. Ergebnis sind 385 PS/283 kW und üppige 750 Nm Drehmoment bereits ab 1250 U/min. Der RS5 beschleunigt damit wie ein Porsche in etwa vier Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100. Er verfügt, wichtiger, über sehr viel Kraft bereits bei ganz niedrigen Drehzahlen, und er dreht fast so locker hoch wie ein sportlicher Benzinmotor. Erst wird der elektrische Lader aktiv, dann folgt der kleine Turbolader und schließlich, wenn der volle Abgasstrom zur Verfügung steht, der große Turbolader. BMW setzt in den Modellen BMW M550d xDrive Limousine und Kombi, X5 M50d und demnächst wieder im X6 M50d auf eine dreifache Turboaufladung mit verschieden großen Turboladern.

Der elektrische Biturbo von Audi verspricht als Geniestreich in den Motorenbau einzuziehen: bei Dieseln wie Benzinern. Er hat seine Stärken dort, wo sie den meisten Sinn ergeben, wo sie der Fahrer am deutlichsten spürt: bei niedrigen Drehzahlen. Diese wiederum senken Geräusch und Verbrauch. Künftige Motoren mit elektrischem Biturbo vereinen Fahrfreude und Ökonomie auf neuem Niveau. Erstmals serienmäßig eingesetzt wird der elektrische Lader in der neuen Generation des Q7, die für nächstes Jahr angekündigt ist.

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